Nikita Dhawan: Kulturrisse
Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Mit einer Einleitung von Hito Steyerl Wien: Turia + Kant 2007 (Es kommt darauf an, Band 6)
Gayatri Chakravorty Spivak hat die Übersetzung einmal als die intimste Form des Lesens bezeichnet. Als eine der prominentesten Stimmen postkolonialer Kritik hat sie dabei selber unendlich viel Energie in Übersetzungsarbeiten gesteckt. Bereits 1976 erschien ihre Übersetzung von Jacques Derridas De la Grammatologie (1967). Und es war diese Übersetzung wie auch das in dieser enthaltene 80-seitige Vorwort, das schon früh prominent werden ließ. Die hervorragende Übersetzung erwies sich zudem als Türöffner für Derridas Rezeption in den USA. Überdies werden Spivaks Übersetzungen und Kommentierungen des Werkes der bengalischen Schriftstellerin und Aktivistin Mahasweta Devi ins Englische sehr geschätzt. Umso bedauerlicher ist es, dass nur ganz wenige ihrer Schriften ins Deutsche übersetzt wurden und das, obschon ihre Analysen von enormer Bedeutung für die postkoloniale Theorie sind. Spivak ist eine der wichtigsten und kontroversesten Figuren innerhalb postkolonialer Kritik, weswegen die Übersetzung von Can the Subaltern speak? auch nunmehr zwanzig Jahre nach dem ersten Erscheinen mehr als begrüßenswert scheint. Die Übersetzung dieses einflussreichen Textes könnte postkoloniale Interventionen im deutschsprachigen Kontext durchaus vitalisieren. Das nun in deutscher Sprache vorliegende Essay zählt zu den am häufigsten zitierten Texten zeitgenössischer Geisteswissenschaften. Und wenn schon unzählige Artikel sich mit diesem prominenten Text auseinandersetzen, so scheint es zuweilen, als würde nur der Titel und der erste Satz des letzten Absatzes zur Kenntnis genommen: "Können die Subalternen sprechen?" – "Die Subalternen können nicht sprechen". Dabei hat selbst diese letzte Aussage Jahre später als eine "nicht ratsame Bemerkung" bezeichnet. Tatsächlich kreisen ihre Analysen um die Frage, ob die Subalternen dazu verdammt bleiben, repräsentiert zu werden, ja, ob eine Selbstrepräsentation derselben in Anbetracht der historisch gewordenen Bedingungen überhaupt möglich ist. Dabei fokussiert den vergeschlechtlichten Ort der subalternen Frauen, der gleich in doppelter Hinsicht ausradiert worden ist, denn sowohl die kolonialen Archivalien als auch die nachkolonialen historischen Beschreibungen subalterner Aufstände stabilisieren das dominante männliche Prinzip. Allerdings tauscht Spivak keineswegs die klassenspezifische Analyse der Subalternen gegen eine geschlechtsspezifische aus, vielmehr zeigt sie auf, dass der bloße Fokus auf eine klassenspezifische Verortung die Widerstandspraxen weiblicher Subjekte und ihre Rolle beim Übergang von einer kolonialen zu einer postkolonialen Gesellschaft übersieht und deutet damit auf die genderspezifischen Leerstellen postkolonialer Theoriebildung. Spivaks Analyse stellt sowohl eine Kritik am imperialistischen als auch am autochthonen Patriarchat dar. Und ihre Aussage, dass die Subalternen nicht sprechen können, besagt letztlich, dass selbst wenn dieselben es immer wieder versuchen, sie nie gehört werden, was jedoch keineswegs bedeutet, dass die Subalterne über keine Handlungsmacht verfügen, geht es doch nicht um Sprachlosigkeit, sondern darum, aufzuzeigen, dass das Zuhören hegemonial strukturiert ist. Bleibt zu hoffen, dass der nun in einer sorgfältigen Übersetzung vorliegende kraftvolle, komplexe Text die Diskussion um feministische postkoloniale Perspektiven erweitert und insgesamt kritische Debatten (wieder-)belebt. Kulturrisse 03/07
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