Im Juni 1793 schlossen sich die Schwarzen Aufständischen in San Domingo/Haiti unter der Führung von Toussaint L’Ouverture der Spanischen Armee an, die sie mit Waffen, Munition und Proviant für den Kampf gegen die französische Republik versorgte. In Paris wurde zu diesem Zeitpunkt in der Nationalversammlung gerade die Enthauptung des Königs beschlossen und vollstreckt sowie heftig über die Rolle der „Sklaverei“ diskutiert: Dem liberalen Flügel – den Girondisten – war es gelungen, die Definitionsmacht über das Thema der Versklavung zu erringen. Die Position in Bezug auf den Status der „SklavInnen“ war keineswegs eindeutig. Sehr lange plädierte die Mehrheit bei der Definition der versklavten Menschen für Eigentum und nicht für Gleichheit. Dementsprechend wurde als Ziel beschlossen, die Aufständischen so schnell wie möglich in die Sklaverei zurückzutreiben. Doch die Truppen Toussaint L’Ouvertures eroberten indes unter der Fahne der spanischen Bourbonen Teile der französischen Kolonie. Die Losung, mit der Toussaint L’Ouverture die Schwarzen Truppen zum Kampf aufrief, lautete „Freiheit für alle“. Am 29. August 1793 veröffentlichte er folgende Kundmachung:
„Brüder und Freunde. Ich bin Toussaint L’Ouverture, mein Name ist euch vielleicht bekannt. Ich habe mir die Rache zur Aufgabe gemacht. Ich möchte, dass Freiheit und Gleichheit in San Domingo herrschen. Ich arbeite dafür, sie zu verwirklichen. Schließt euch uns an, Brüder, kämpft mit uns für dieselbe Sache …
Euer sehr demütiger und sehr gehorsamer Diener (gezeichnet) Toussaint L’Ouverture, General der Armeen des Königs, für das öffentliche Wohl.“[1]
Gegen das bestehende revolutionäre Frankreich und unter der Fahne des spanischen Königs ruft er die Parolen der französischen Revolution an, um die Schwarzen zum Kampf zu mobilisieren. Die beiden Bevollmächtigten Polvérel und Sonthonax, die von Frankreich zur Ordnung der Angelegenheiten in die Kolonie entsandt worden waren, konnten und wollten nicht einschreiten – sie erklärten vielmehr die Abschaffung der Sklaverei. Allerdings waren sie dazu eigentlich nicht befugt, und der Konvent in Paris konnte sich weiterhin zu keiner diesbezüglichen Entscheidung durchringen. Inzwischen eroberten die Truppen unter Toussaint L’Ouverture weitere bedeutende Landstriche für Spanien. Erst ein halbes Jahr später - im Januar 1794 und mit der Hegemonie der Jakobiner im Nationalkonvent – wird die Sklaverei in allen Kolonien für aufgehoben erklärt. Im Mai erreicht die Botschaft der Ratifizierung des Dekrets Toussaint L’Ouverture. Er beschließt sofort, sich von den Spaniern abzuwenden, tritt auf die Seite der Republik über, erringt die gesamten eroberten Landstriche nun für das revolutionäre Frankreich zurück und besiegt die spanischen und im weiteren auch die englischen konterrevolutionären Stellungen. Von diesem Tag an geht es bei der Eroberung des Landes nicht mehr um bloße Taktik, sondern um eine revolutionäre Strategie. Toussaint L’Ouverture versteht den Befreiungskampf nun als untrennbaren Bestandteil der französischen Revolution und den Sieg für Frankreich als Bestandteil des Befreiungskampfes.
Dieses Beispiel erinnert an eine Kampfgeschichte, die bis heute weitgehend aus der Geschichtsschreibung über die Revolutionen im 18. Jahrhundert ausgeblendet wird: die Geschichte einer antikolonialen revolutionären Befreiung und politischen Subjektivierung, die sich nicht mit der bloßen Tatsache „für sich selbst zu sprechen“ begnügte[2]. Mit diesem Text soll die Frage nach dem Universalismus gewissermaßen von seiner anderen Seite her gestellt werden: Wieso war in der tradierten Rezeption der Revolution in San Domingo/Haiti immer klar, dass sie und ihr Diskurs von Frankreich ausgehend auf die karibische Insel kamen und nicht umgekehrt? Wieso wird in der Universalismuskritik immer davon ausgegangen, dass der Universalismus eine Perspektive vom hegemonialen Zentrum zu den Rändern darstellt? Und warum wird marginalisierten Positionen in der gängigen Wahrnehmung und Geschichtsschreibung die Perspektive auf das Ganze abgesprochen?
Gleichheit für alle! Aber wer sind alle?
Die berechtigte Kritik am Universalismus
Um den Universalismus von seiner anderen Seite her zu befragen, müssen dieser in seinem klassischen Sinn ebenso wie die berechtigte Kritik an ihm noch einmal in den Blick genommen werden: Zwei Aspekte des Begriffes „Universalismus“ wurden in den letzten fünfzig Jahren in Grund und Boden kritisiert. Der erste betrifft ein wissenschaftstheoretisches bzw. erkenntnistheoretisches Problem. Hier ging es darum, die Vorstellung einer universellen Geltung von Wahrheit aufzubrechen: ihren enthistorisierenden Charakter, der jegliche Spezifität aus dem Blickfeld verdrängt. Foucault schreibt in seinem gesamten Werk gegen diesen Universalismus an. Der Vorstellung eines/r „universellen Intellektuellen“ stellt er jene des/r „spezifischen Intellektuellen“ gegenüber.[3] Von der anderen Seite her gedacht geht es darum, was passiert, wenn sich Fragen nach dem Universalismus gerade im Spezifischen stellen, wenn das Thema des Universalismus ein Thema für AktivistInnen wird, wenn die Gründe für oder gegen eine Allianz im Aktivismus, im Plenum auftauchen. In diesem Sinn soll hier auch der Universalismus als historisch gewachsen und nicht in seiner Allgemeinheit Thema sein. Vor dem Hintergrund eines also bewusst spezifischen, operativen und pragmatischen Blicks auf den Universalismus lässt sich nun der zweite massiv kritisierte Aspekt verfolgen: Dieser ist eher praktisch-politischer Natur und betrifft die universelle Geltung von Rechten. Mit der Erklärung der Menschenrechte und den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gibt das ausgehende 18. Jahrhundert – die Zeit der angesprochenen Revolutionen – wesentlich vor, was wir heute unter Universalismus verstehen. Doch wer war gleich, und wer blieb und bleibt bis heute von der Gleichheit ausgeschlossen? Von postkolonialer und feministischer Seite wurde der „Universalismus“ massiv kritisiert und als weißer, westlicher Partikularismus entlarvt. Infragegestellt wurde, dass eben nur manche „alle“ waren (und sind) und andere nicht, dass zwar von „universellen Rechten“ die Rede sei, tatsächlich aber eine westliche und männliche Perspektive als universell angenommen werde. Weiters wurde der Universalismus als missionarische und koloniale Gewaltherrschaft kritisiert, dessen Verallgemeinerungen nichts anderes als polizeiliche Unterdrückungs- und Anpassungstechniken waren. Ein dritter Kritikpunkt war jener an der paternalistischen Funktion des Universalismus, da seine Logik der StellvertreterInnenpolitik ohnmächtige Objekte produziere und nicht selten gerade die Sichtbarkeit politischer Kämpfe verhindere. In einem vierten Punkt musste sich das Konzept des Universalismus eine weitere Infragestellung gefallen lassen: die Rhetorik der Verdeckung realer Ungleichheiten, wie sie sich etwa im Phantasma „alle haben die gleichen Chance“ bis heute ausdrückt. "Es ist den Armen wie den Reichen gleichermaßen verboten, in Paris unter den Brücken zu schlafen", lautete bereits in der Zeit der französischen Revolution ein ironischer Kommentar über die ideologische Funktion des Gleichheitspostulats: Wenn Ungleiches gleich behandelt wird, entsteht Ungerechtigkeit. Aus allen diesen Gründen und fand sich der Universalismus als diskreditiert wieder. Gerade gegen die Herrschaftstechniken eines verkürzten, vereinnahmenden und ausschließenden Universalismus schien es notwendig, sich aus marginalisierten Perspektiven der Strategie der Identitätspolitik zu bedienen. Die Ausschlüsse und Ungleichheiten erforderten Bewusstseinsbildung und partikulare Positionen und Politiken, die sich eben ins Universale hineinreklamierten. Nichtsdestotrotz ist es das Konzept der „Gleichheit“, in dessen Namen und vor dessen Horizont marginalisierte Positionen immer wieder ihre Rechte einfordern, eben: „Gleiche Rechte für alle!“ Mit dem Ruf nach „Gleichheit“ beginnt aber natürlich nicht die Gleichheit. Der Anfang, der hier markiert wird, ist vielmehr ein Anfang der Kämpfe um Gleichheit: ein Reklamierungsmodell gegen die produzierte Ungleichheit.
In gewisser Weise hat der Universalismus der Menschenrechte von Anfang an zwei Seiten: Einerseits beginnt mit der Idee der Gleichheit, die eben nur für einen Teil der Gesellschaft gilt, eine völlig neue Dimension der Ungleichheit. Standen in den feudalen Strukturen alle an ihrem Platz, so findet die Ungleichheit nun unter den Bedingungen der Gleichheit statt (so hatte der Humanismus jene Struktur produziert, die den „Anderen“ die Menschlichkeit verwehrte). Dies ist vielleicht einer der Gründe, wieso die Debatten um die Rechte der Schwarzen in der Nationalversammlung so heftig ausfielen. Die Frage stand auf dem Spiel, für wen die Menschenrechte Geltung haben sollten und für wen nicht (wer also kein Mensch war). Andererseits ist die Idee der Gleichheit, einmal ausgesprochen, als Horizont nicht mehr aufzuhalten.[4] Sie markiert die Möglichkeit, Gleichheit zu reklamieren. Doch diese Reklamation konnte weder im Fall der Frauen oder der ArbeiterInnen noch im Fall der Schwarzen im Parlament entschieden werden. Gleichheit konnte in allen diesen Fällen nur durch reale Kämpfe reklamiert werden.
Was bis 1793 geschah:
Die Debatten über den Status der „Sklaven“ und die Rolle der Kolonien waren seit 1789 Leitmotive im französischen Konvent. Es waren Themen, an denen sich Fraktionen bildeten und die Positionen spalteten. Dies hatte mehrere Gründe. Einerseits wurde an ihnen selbstverständlich die aufklärerische Frage nach dem Status der „Menschen“ zum Exempel gemacht, andererseits gab es handfeste materielle Interessen, die Gleichheit zu verhindern und die koloniale Gewaltherrschaft weiterzuführen. Sehr deutlich macht dies der sozialistische Theoretiker C.L.R James in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts: „Der Sklavenhandel und die Sklaverei bildeten die ökonomische Grundlage für die französische Revolution.“[5] Wenn also die Enzyklopädisten und die Société des Amis des Noirs zu FürsprecherInnen der Schwarzen wurden und gegen die Versklavung auftraten, dann nahm zwar das gesamte engagierte politische Paris daran Anteil – reale politische Konsequenzen hatte das allerdings keine.[6] „Mirabeau, Pétion, Bürgermeister von Paris, Abbé Grégoire, Condorcet, allesamt Mitglieder der Freunde der Schwarzen waren Deputierte, alle der Aufhebung verschworen, aber Beseitigung der Sklaverei bedeutete den Ruin der Handelbourgeoisie.“[7] Im Dekret vom 8. März 1790 über die Kolonien wird dementsprechend festgehalten, dass Kolonisten und ihr Eigentum (und „SklavInnen“ waren eben Eigentum) dem besonderen Schutz der Nation anvertraut werden. „Das Dekret bezichtigte jeden des Verbrechens an der Nation, der es versuchen sollte, direkt oder indirekt gegen irgendeinen kommerziellen Zweig zu opponieren.“[8] Mit dem Dekret wird die Beibehaltung der Versklavung in der revolutionären Nationalversammlung legitimiert und legalisiert. Die Revolution wurde nicht von den „Amis des Noirs“ und auch von keiner anderen gut meinenden französischen revolutionären Kraft nach San Domingo gebracht. Der Diskurs der Revolution war zunächst ein Diskurs für die Befreiung der SklavenhalterInnen. Zahlreiche reiche SklavenhalterInnen – bourgeois und keineswegs AnhängerInnen des Königs – debattierten laut über die Revolution. Sie positionierten sich gleichermaßen gegen Adel und Kirche wie gegen die Abschaffung der Sklaverei. Doch die Idee der Gleichheit verbreitete sich in den Kolonien. Die ersten Aufstände von SklavInnen fanden statt. Es kam zu Kämpfen mit KolonistInnen. Die Schwarzen Aufständischen wurden gehängt, während die Zahl der selbstorganisierten Freiheitskämpfe zunahm und in einer gewissen Relation mit den Nachrichten über die Ereignisse in Frankreich stand. Um 1791 wurden die Aufstände zunehmend verbunden und gemeinsame Aktionen gründlich vorbereitet, eine organisierte Massenbewegung entstand. Die Revolution brach in San Domingo aus. Bis zum Angebot Spaniens, sich am Krieg gegen Frankreich zu beteiligen, trat Toussaint L’Ouverture den Aufständischen bei, er leitete sehr bald die Revolution und arbeitete an einer weiteren und zunehmenden Mobilisierung und Organisierung der Kämpfe. Wie hier sehr deutlich ersichtlich wird, waren weder der Humanismus der Enzyklopädisten, noch der Universalismus der Menschenrechte stark genug, um die Sklaverei abzuschaffen oder die Kolonien zu befreien. Die Rechte mussten erkämpft werden. Für die Mobilisierung dienten L’Ouverture dabei, wie oben zitiert, die Ideale der Gleichheit und der Freiheit: „Ich möchte, dass Freiheit und Gleichheit in San Domingo herrschen. Ich arbeite dafür, sie zu verwirklichen. Schließt euch uns an, Brüder, kämpft mit uns für dieselbe Sache …“ Die Sache der Revolution, der Befreiungskampf in San Domingo radikalisiert die Begriffe „Freiheit“ und „Gleichheit“.[9] Indem er sie universalisiert und auf jene anwendet, für die sie nicht gelten sollten, gibt er ihnen eine neue Bedeutung und verleiht ihnen ihre eigentliche Kraft.
Euer Kampf ist auch unser Kampf.
Der Universalismus von der anderen Seite
Vor dem Hintergrund der Hegemonietheorie Ernesto Laclaus stellt sich die Frage nach dem Universalismus neu. Laclau formuliert die Differenz zwischen Universalismus und Partikularismus als eine Spannung, die zu keiner der beiden Seiten hin aufgelöst werden kann. Er weist in diesem Sinne puren Partikularismus zurück und adressiert die Notwendigkeit einer Universalität, die allerdings eine radikale Neudefinition erfährt. So stellt er fest, dass „das Universelle nichts anderes ist, als ein zu einem bestimmten Zeitpunkt dominant gewordenes Partikulares“[10]. Indem die Hegemonietheorie Laclaus darauf verweist, dass es keinen Ort der Gesellschaft gibt, von dem aus sie als Ganzes begründbar, als Totalität fassbar wäre, bleibt der Ort, an dem die Universalität begründet wäre, ebenso leer wie umkämpft. Universalität bleibt als Dimension erhalten, ohne dass sie je von einem Partikularismus ausgefüllt werden könnte. Sie ist die Leerstelle, die Politik ermöglicht. Das Universelle wird so zum „unvollständigen Horizont“ der partikularen Kämpfe, ebenso unmöglich wie ermöglichend. Aus der Perspektive Laclaus muss sich jeder Partikularismus, wenn er auf Hegemonie zielt, für seine Kämpfe dieses universalistischen Horizonts bedienen. Und genau dies tut L’Ouverture, wenn er „Freiheit und Gleichheit“ zu seiner Sache macht. Laclau legt dementsprechend das Augenmerk auf jene ermöglichende Seite des Universalismus, die ihn zur Basis der Reklamation von Rechten macht. Wesentlicher Bestandteil dieser Kämpfe ist eine Infragestellung der hegemonialen Verhältnisse, die die Definitionsmacht über den Universalismus innehaben: Das heißt, was bis dahin als universal galt, wird nun als partikular angegriffen. Genau in diesem Sinne ließen sich vielleicht auch die oben referierten Kritikpunkte feministischer und postkolonialer Theorien lesen, die das Konzept des „Universalismus“ selbst und zwar im Namen seiner Ungleichheit diskreditieren. Weniger in den Blick der politischen Theorie ist dabei die Frage geraten, welche Produktivität in der bewussten Einnahme einer universalistischen Perspektive hinsichtlich möglicher Solidarisierungen mit anderen politischen Kämpfen besteht.
Während Universalismus immer nur in eine Richtung – von der Mehrheit zu den Rändern – vorgestellt und kritisiert wurde, wurde seine Produktivität in umgekehrter Richtung weitgehend außer Acht gelassen. Dabei stehen Fragen nach Vernetzung und gemeinsamen Kämpfen, nach theoretischen Positionen und politischen Strategien zwischen Solidarität, Inter/Transnationalismus, Allianzenbildung, gemeinsamen politischen Kampffeldern und Horizonten wieder zunehmend auf der Tagesordnung von politischen Debatten und Organisationszusammenhängen: Mit dem Slogan „Alles für alle. Für uns nichts“ machen die Zapatistas in Mexiko auf ihre nicht-identitäre Perspektive aufmerksam. „Was wir verteidigen, verteidigen wir für alle“, proklamieren die Intermittents du spectacle in Frankreich. Queere AktivistInnen haben wiederum Kritik an klassischen Identitätspolitiken im Feminismus geübt und diesen anhand radikal antiessentialistischer Konzepte redefiniert.
„Euer Kampf ist auch unser Kampf“ ist die Parole, die den universalistischen Akt der Solidarisierung der Zapatistas in Mexiko mit anderen politischen und sozialen Kämpfen in der Welt ausdrückt. Mit ihr als Begründung verzichtete Subcommandante Marcos anlässlich eines Vortrages auf sein Honorar von 500 US-Dollar und spendete es den zu diesem Zeitpunkt in Italien streikenden FabrikarbeiterInnen. Der symbolpolitische Akt widersetzt sich deutlich gängigen paternalistischen Vorstellungen der Spendenlogik zwischen „erster“ und „dritter“ Welt. Die Zapatistas nehmen sich das Recht (welches gerade den Indigenas aus einer rassistischen Perspektive abgesprochen wird), nicht bloß lokal und nicht bloß sie selbst betreffend Position zu beziehen, sondern sich über ihren eigenen Kampf hinaus mit anderen Kämpfen zu solidarisieren.[11] Als queere Theoretikerin über Antisemitismus schreibend, macht auch Bini Adamczak klar, dass „für sich selbst zu sprechen“ und sich in die Normalität hineinzureklamieren noch lange nicht die Maximalforderungen radikaler Politik darstellt. „Es geht nicht um ein we are here, we are queer, get used to it, indem ihr euch an unseren Anblick gewöhnt, sondern um eine Aneignung der Norm, des phallischen Blicks, selbst. Wir sind hier – wir sehen euch. We are here – we are watching you.”[12] Und vor diesem Hintergrund müssten in queeren Debatten und Theoriezusammenhängen nicht nur Heterosexismen und die Normierungslogiken der Zweigeschlechtlichkeit bekämpft werden, sondern auch Ausbeutungsverhältnisse, Antisemitismen[13] und Rassismen. Der Universalismus wird gemeinhin der Mehrheitsgesellschaft zugeschrieben – und zwar sowohl in ihren eigenen parternalistischen Diskursen als auch in weiten Teilen der Kritik. Dem steht eine andere Perspektive gegenüber: Die Aneignung einer strategisch universalen Perspektive von marginalisierter Seite, die aus der Opfer- und Objektposition heraustritt und es sich stolz herausnimmt, solidarisch zu handeln.
Strategischer Universalismus
Mitte der 80er Jahre entwickelte die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Spivak das Konzept eines „strategischen Essenzialismus“. Ihr ging es dabei darum, trotz und in Anbetracht der Kritik der poststrukturalistischen Theorie an jeglichem Essenzialismus, Möglichkeiten für eine aktuelle und konkrete politische Praxis offen zu halten. Der Begriff „strategisch“ wurde bei Spivak sozusagen zu einer Handlungsoption: die Eröffnung einer Möglichkeit eines Handelns, das weder hinter die dekonstruktive Kritik zurückgeht, noch – in Anbetracht von allem, das es grundsätzlich aufzulösen, zu hinterfragen und zu bedenken gibt – ohnmächtig bleiben muss. Der Begriff des Strategischen als Handlungsoption könnte nun auch bei einer Neudefinition des Universalismus dienlich sein. Wurde dieser nämlich zurecht sowohl in seiner enthistorisierenden, wissenschaftstheoretisch-philosophischen als auch in seiner verkürzten, vereinnahmenden und ausschließenden politisch-rechtlichen Dimension diskreditiert, so stellte sich trotzdem gerade mit dem Zusammenbruch der großen Universalismen zunehmend die Frage nach der Möglichkeit und Unmöglichkeit von Solidaritäten – nach gemeinsamen Kämpfen und Allianzen ebenso wie nach so etwas wie jenem „unvollständigen Horizont“, von dem Ernesto Laclau schreibt. Vor diesem Hintergrund kann der Universalismus vielleicht eine neue strategische Dimension erhalten – und zwar nicht als Selbstzweck, sondern im Hinblick auf eine politische Praxis.
Nicht als erkenntnistheoretisches Modell und auch nicht als abstrakter politischer Rechtsbegriff, sondern in konkreten aktivistischen und marginalisierten Kämpfen und Diskursen wurde der Universalismus in den letzten Jahren wieder neu thematisiert. Es gibt aktivistische Praxen, die den Universalismus gewissermaßen neu denken, die eine „strategisch universalistische“ Perspektive einnehmen, ohne hinter die berechtigten Kritikpunkte zurückzugehen. Es wird bereits „strategisch universalistisch“ gehandelt. Fallen und Probleme, Möglichkeiten und Gefahren gemeinsamer politischer Horizonte werden im Aktivismus im Hinblick auf gemeinsames Handeln abgesteckt und diskutiert. Die Frage nach dem Universalismus stellt sich im Spezifischen. Und genau dort wird deutlich, dass es gute Gründe geben kann, mehr zu wollen, als bloß „für sich selbst zu sprechen“, nämlich Teilhabe an der Definitionsmacht. Und ist es nicht gerade jene universalistische Perspektive, die marginalisierten Positionen klassischerweise abgesprochen wurde und wird?
Zurück nach Haiti
Es handelt sich um zwei revolutionären Situationen, die zeitgleich – im ausgehenden 18. Jahrhundert – stattfinden und politisch und diskursiv miteinander in Verbindung stehen. Beide haben grundlegend unterschiedliche GegnerInnen, Ziele und Strategien: In Frankreich handelt es sich um eine bürgerliche Revolution gegen den Absolutismus, den Adel, die Kirche, die feudalen Strukturen. In San Domingo/Haiti findet ein Schwarzer Widerstands- und Befreiungskampf gegen die Versklavung statt, die zu einem großen Teil von französischen Bürgerlichen getragen wird. Beide Revolutionen sind gleichermaßen einschneidende, radikale Brüche mit den jeweils bestehenden Machtverhältnissen. Es handelt sich um eine Geschichte, deren Universalismus endlich von der anderen Seite her erzählt werden muss: Zwischen dem Moment der Rebellion (1791 beginnt der organisierte Widerstandskampf, der sich zunächst gegen Frankreich richtet) und jenem des Unabhängigkeitskrieges (der 1804 mit der Niederschlagung der von Napoleon nach San Domingo gesandten französischen Armee und der unabhängigen Republik Haiti endet) nahm die Revolution in San Domingo für wenige Jahre eine universalistische Perspektive ein und solidarisierte sich mit dem jakobinischen revolutionären Frankreich. Aus freien Stücken erklärte sie sich zur französischen Revolution. So war der Kampf um die Gleichheit der Versklavten nicht bloß ein isolierter Kampf, sondern stellte einen Zusammenhang her. Was den SklavInnenwiderstandskampf in San Domingo in der Zeit von 1793 bis 1802[14] also von einer Revolte und einem Unabhängigkeitskrieg unterscheidet, ist die Tatsache, dass er sich solidarisch zur französischen Revolution erklärt. Erst als Napoleons Truppen mit der wehenden Trikolore und der Marseillaise die befreiten Schwarzen San Domingos – die ebenfalls die Flagge des revolutionären Frankreichs und die Marseillaise zum symbolischen Repertoire ihres Kampfes gemacht hatten – niederzuschlagen versuchten, zerfällt die „universalisierte“ französische Revolution wieder in zwei einander gegenüberstehende Teile: in das nationalkoloniale Projekt einerseits und in einen siegreichen Unabhängigkeitskrieg für die Republik Haiti andererseits. Haiti sollte fortan frei bleiben (und hatte einen hohen Preis dafür zu bezahlen, der bis heute nicht restituiert wurde[15]).
Lange tauchte die Befreiungsgeschichte von San Domingo/Haiti bestenfalls als Fußnote der Französischen Revolution auf. Wenn von ihr die Rede war, dann als glorreicher Aspekt, als Zeugnis der breiten Einflusszone der Revolution, als Beispiel ihrer Universalität. So, als hätte die große französische revolutionäre Masse ihrer kleinen Schwester (oder gar Tochter) die Hand gereicht, um gemeinsam Teil eines französischen Ideals zu werden. Wenn die Revolution in Haiti jedoch Teil der französischen Revolution wurde – soviel geht deutlich aus den Überlieferungen hervor – dann, weil Toussaint L’Ouverture und seine Truppen sich im Mai 1794 dafür entschieden und nicht weil ihnen irgendjemand aus Frankreich die Revolution gebracht oder beigebracht hätte.
[1] Zit. nach C.L.R. James, Die schwarzen Jakobiner. Toussaint L‘Ouverture und die San-Domingo-Revolution, Berlin: Neues Leben 1984, S. 144: Lettres de Toussaint L’Ouverture, La Bibliothèque Nationale (MSS. Dpt.).
[2] Vgl. Recherchegruppe für Schwarze österreichische Geschichte sowie die Texte von Araba Evelyn Johnston-Arthur auf der DVD-Rom Verborgene Geschichte/n – remapping Mozart. Ein Ausstellungsprojekt in vier Konfigurationen, Wien 2006.
[3] Vgl. Gespräch mit Michel Foucault, in: Michel Foucault, Schriften, Bd. 3, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2003, S. 207, 209.
[4] Vgl. Ernesto Laclau, Universalismus, Partikularismus und die Frage der Identität, in: Ernesto Laclau, Emanzipation und Differenz, Wien: Turia + Kant 2002, S. 55 sowie das Vorwort von Oliver Marchart, Gesellschaft ohne Grund: Lauclaus politische Theorie des Post-Fundationalismus, in: ibid., S. 7-15.
[5] C.L.R. James, op. cit., S. 59.
[6] „’Mögen die Kolonien lieber zerstört werden, als die Ursache so vieles Bösen zu sein’, schlussfolgert die Enzyklopädie in ihrem Artikel über den Sklavenhandel. Aber solche Gefühlsausbrüche hatten weder damals noch haben sie heute irgendwelches Gewicht.“, ibid., S. 32.
[7] Ibid., S. 71.
[8] Ibid., S. 85.
[9] Vgl. Laurent Dubois, A Colony of Citizens. Revolution & Slave Emancipation in the French Carribean 1787-1804, London: Chapel Hill 2004.
[10] Ernesto Laclau, Universalismus, Partikularismus und die Frage der Identität, in: op. cit. S. 52.
[11] Vgl. Comandante Mister, Ansprachen der Kommandantur zum 9. Jahrestag des zapatistischen Aufstandes, http://www.chiapas98.de/news.php?id=466 (24.03.2007): „Diese schlechte Regierung glaubt, dass wir indigene Völker nicht international denken. Aber wir indigene Völker denken international, und wir indigene Völker haben das Recht uns Meinungen zu bilden und zu entscheiden, wie wir handeln wollen. Die rassistische Regierung denkt auch, dass wir Indigenas die Welt nicht kennen.“
[12] Bini Adamczak, Antisemitismus dekonstruieren? Essentialismus und Antiessentialismus in queerer und antinationaler Politik, in: A.G. Genderkiller, Antisemitismus und Geschlecht, Münster: Unrast 2005, S. 227.
[13] Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Vorwurf des „Universalismus“ im 19. Jahrhundert zum klassischen Repertoire der Rhetorik des modernen Antisemitismus zählte.
[14] 1802 erreicht das französische Expeditionsheer unter der Leitung von General Leclerc Haiti mit dem Ziel, die Sklaverei wieder einzuführen und den Aufstand niederzuschlagen. L`Ouverture wird gefangen genommen und nach Europa deportiert, wo er am 7. April 1803 in Gefangenschaft stirbt.
[15] http://www.ipetitions.com/petition/restitutionpourhaiti/ (27.03.2006).