Übersetzt von Tom Waibel
In der Kartographie tauchen die Kannibaleninseln auf und verschwinden wieder. Besonders bemerkenswert war das Verschwinden der Inseln aus der von Anglería 1511 erstellten Karte der Antillen und der Küste des Festlands; der Grund dieses Weglassens bestand einer handschriftlichen Anmerkung auf der Rückseite der Karte zufolge darin, „Verwirrungen zu vermeiden“. Möglicherweise glaubte damals nicht einmal Anglería selbst an die geographische Realität der berühmten Inseln.
Carlos JáureguiMan sieht nur das Vorgestellte; doch das Vorgestellte ist das Erfundene.
Martin HeideggerEs gibt einen als ethnographische FilmemacherInnen bekannten Stamm,
der glaubt, unsichtbar zu sein.
Eliot Weinberger
Um die Mitte des 16.
Jahrhunderts trugen Juan Ginés de Sepúlveda und Bartolomé de Las Casas einen
als Kontroverse von Valladolid
bekannten transatlantischen Streit aus, der von theologischen
Auseinandersetzungen und imperialen Schmähreden geprägt war. Im Konvent San
Gregorio von Valladolid standen theologische, moralische, juridische sowie die
Arbeit betreffenden Rechte der Indios der Neuen
Welt[1]
zur Debatte. Als Konsequenz dieser epistemischen Konfrontationen um die
‚natürliche Unterlegenheit’ der BewohnerInnen der Neuen Welt beendete Las Casas 1552 eine überarbeitete,
zusammenfassende und vollständige Version der summarischen Geschichte von der
Zerstörung der Indias[2], mit deren Niederschrift
der Dominikanermönch um 1539 begonnen hatte und die unter dem Titel Kurzgefasster Bericht der Zerstörung der
Indias in Sevilla veröffentlicht wurde.
Gemeinsam mit der Debatte über die Existenz oder Nichtexistenz einer indigenen Seele stand im erwähnten Streitgespräch vor allem jenes Problem auf dem Spiel, das seither als das Paradigma der Vormundschaft bezeichnet wurde, das heißt, das Recht auf theologisch-militärische Intervention in der Neuen Welt und die Rechtfertigung des Krieges gegen die Indios aufgrund ihrer angeblich natürlichen Abstammung von den Kannibalen. Einer Lesart Carlos Jáureguis zufolge offenbarte das politische und ökonomische Scheitern der (1542 verlautbarten) Neuen Gesetze, dass die Rhetorik von Kannibalismus und Wildheit auf zwei innig miteinander verbundenen Elementen ruhte: In der Verbindung zwischen dem Genuss von Menschenfleisch (der jenen unterstellt wurde, die unter die vieldeutige Bestimmung der Cariben fielen) mit bestimmten geographischen Breiten einerseits und andererseits in der steten Forderung nach indigener Sklaverei auf der Grundlage einer theologischen Rechtfertigung, die ihr Fundament in der imperialen Kartographie der Bulle Inter-Caetera von 1493 sowie im stillschweigenden Einverständnis mit einer anderen Art von Genuss fand: dem Konsum von Arbeitskraft und Edelmetallen durch die Enkomendatoren[3]. In den Worten Jáuregis: „Die Angelegenheit des Kannibalismus ist immer weniger eine Frage des Konsums von Menschenfleisch durch die Kariben und immer mehr eine Frage des Konsums von Arbeitskraft durch die Enkomendatoren der großen Antillen“.[4]
Der vorliegende Text handelt demnach von zwei extremen Gelüsten: 1) dem stillbaren Konsum von Gold und indigener Arbeitskraft sowie 2) dem unstillbaren Konsum der kartographischen Andersheit und der ethnographischen Gleichheit. Wie alle Extreme sind die symbolische Funktion des in den Ländern der Kannibalen entdeckten (oder verborgenen) Goldes und die ethnisch-rassische Unterwerfung der indigenen Produktivkraft zwei Gelüste, die sich im Inneren der Enkomendatoren-Geographie der Neuen Welt berühren, oder genauer gesagt, in ihr verschmelzen. Zugleich bestehen diese beiden extremen Gelüste, wie wir später sehen werden, innerhalb des postfordistischen Kapitalismus fort, in dem sie als ethnisch-hierarchische Grundlage dessen fungieren, was Tony Miller als die neue internationale Kulturarbeitsteilung bezeichnet hat, das heißt, sie wirken als Substrat jeglicher interkulturellen Unterordnung im Rahmen der aktuellen globalen Arbeitsmigration.
Im vorliegenden Text werden wir die Genealogie einer Reihe von Bilder-Archiven[5] des Kannibalischen und Wilden im Zusammenhang mit den ethnographischen oder proto-ethnographischen Formulierungen untersuchen, die sich aus der euphemistisch sogenannten Begegnung zweier Welten ableiten. Mit der Analyse der visuellen Kulturen und der merkantilen transatlantischen Ökonomien des 16. Jahrhunderts spricht dieser Text die Aktualisierungsprozesse dieser ethno-kartographischen Imaginarien im Zusammenhang mit den derzeitigen dekolonialen geopolitischen Beziehungen an, das heißt, dieser Text interpretiert die Art und Weise, in der die Bilder-Archive des Kannibalismus der Indias im Rahmen der epistemologischen Krise des okzidentalen Expansionsdrangs wirken, den James Clifford als die „postkoloniale Krise der geographischen Autorität“[6] bestimmt hat. Die zentrale Hypothese des vorliegenden Textes besteht demnach in der Bestätigung des Umstands, dass es für die Artikulation jedweder Art von Kritik nicht nur an den mit dem Kannibalismus der Indias verknüpften visuellen und ikonographischen imperialen Rhetoriken sondern auch für die Kritik am aktuellen migratorischen, ökonomischen und symbolischen Austausch innerhalb der kulturellen Region Eurolateinamerikas zwingend ist, zunächst eine klare Wechselbeziehung zwischen folgenden Elementen festzustellen: der Geburt des eurozentrierten ethnographischen Wissens, dem transatlantischen Expansionsdrang der imperialen visuellen Kulturen, der militärisch-kartographischen optischen Zentriertheit und der Entstehung des modern-kolonialen Handelssystems.
Um diese transmoderne Brücke zwischen der Frühmoderne und dem 21. Jahrhundert zu schlagen, werde ich zunächst die Konstruktions- und Übertragungsprozesse dessen kritisch betrachten, was Iris Zavala als kolonial panoptischer Blick[7] bestimmt; das heißt, ich werde mich dem Problem der Erfindung der Neuen Welt nähern, indem ich die Geoepistemologie des modern-kolonialen Blicks, die visuellen Rhetoriken vom Kannibalischen und die im 16. Jahrhundert entstandenen symbolischen transatlantischen Ökonomien als Bezugspunkte nehme. In einem zweiten Schritt werde ich diese Überlegungen auf das Gebiet der gegenwärtigen experimentellen Ethnographien beziehen, und um dies einzulösen, werde ich kurz das Projekt Mittelalterliche Indios des equatorianischen Künstlers Tomás Ochoa beschreiben. Ausgehend von dieser Fallstudie werde ich die Notwendigkeit darlegen, bestimmte Ausstellungsprojekte zeitgenössischer Kunst als experimentelle ethno-kartographische Dispositive zu begreifen. Mittelalterliche Indios ist in diesem Sinn ein dekoloniales tableau vivant, das eine vehemente Kritik an den eurozentrierten imperialen Narrativen beinhaltet. Wie wir später sehen, werden darin die postkolonialen Umformulierungen jener Dokumente, Archive und Bilder-Archive sichtbar, welche die ikonographischen Beziehungen zwischen Spanien und der Neuen Welt einerseits gestaltet haben und gestalten. Andererseits werden darin die ethno-rassischen Stereotypen freigelegt, die von den Chronisten der Indias produziert wurden und die von der modern-kolonialen transatlantischen visuellen Kultur unserer Zeit reproduziert werden.
Die Gelüste, von denen der vorliegende Text handelt, konstituieren demnach die Matrize der Kolonialität der transmodernen, transatlantischen visuellen Ökonomie, das heißt, sie sind konstitutiv für das, was wir in diesem Text als die Kolonialität des Sehens beschreiben. Unserer Ansicht nach müssen beide Gelüste in der Analyse der Rekonstruktions- und Aktualisierungsprozesse des Kannibalischen und Wilden stricto sensu verdaut werden. Durch eine Projektion von Las Casas Rhetorik kann dieser Text als ein Kurzgefasster (postkolonialer) Bericht der symbolischen Rekonstruktion der Indias verstanden werden; mit der Paraphrase des Titels von Las Casas Werk wollen wir nichts anderes als auf ein dekoloniales Verständnis der extremen visuellen Gelüste hinweisen, die sich im Zusammenhang mit der Ökonomie und dem kulturellen Konsum der globalen transkulturellen Imaginarien begegnen.
Canibalia, der koloniale
panoptische Blick und der ‚Hunger nach Metallen’
Ich bemühte mich zu erfahren, woher sie jenes Gold hatten und alle deuteten auf ein im Westen liegendes, angrenzendes Gebiet […] doch alle sagten, sie würden nicht dahin gehen, denn dort würden Menschen gefressen und daraus schloss ich, dass sie meinten, dort gäbe es Kannibalen.
Cristóbal Colón (Dritte Reise)
Trotz der von John H.
Elliott vorgenommenen Nuancierungen hinsichtlich der von Bartolomé de las Casas
angeführten Größenordnung der Ausbeutung indigener Arbeitskraft und der durch
Massivmo Livi Bacci erfolgte Bestimmung des Bevölkerungsrückgangs zu einem so
frühen Zeitpunkt wie 1519 – demselben Jahr, in dem die Dominikaner die
Sklavenexpeditionen bei Karl V. anzeigten und als Schlächtereien bezeichneten – lässt sich feststellen, dass das
Auftauchen der Neuen Welt in der
theologisch-kommerziellen Karte jener Katalysator war, durch den die
klassischen und mittelalterlichen Versionen des Wilden und Kannibalischen einen
ausnehmend modernen, merkantil-kolonialistischen Glanz annahmen.[8]
Inmitten der theologischen Streitgespräche zwischen Las Casas und Ginés de
Sepúlveda – der seinerseits den Krieg gegen die Indigenen mit dem Argument
rechtfertigte, sie seien Kannibalen, „die sich nicht von der Vernunft sondern
von den Gelüsten leiten ließen“ – entstand daher eine unmittelbare und paradoxe
Verbindung zwischen den kolonialen Gelüsten nach den natürlichen Schätzen der Neuen Welt (‚Hunger nach Metallen’) und
der ethno-kartographischen Rechtfertigung des Konsums von Sklaven (die
ethnographischen Gelüste nach einer kannibalisierten und in Produktivkraft
verwandelten indigenen Andersheit). Aus diesem Paradoxon entstanden ihrerseits
die „beiden wilden Artefakte oder Konzepte der Wildheit“,[9]
die vom aufgeklärten eurozentrischen Denken beschrieben wurden; das heißt, der
befreundete und verbündete Wilde (der sich in die transatlantische koloniale
Ökonomie eingliedert) und der feindliche, unmenschliche Wilde und Karibe (der sich dem Handel fernhält).
Wie Rodrigo de Figueroa gegen 1520 in seinem Urteil darüber aufzeigen wird, wer
als Kannibale bezeichnet werden sollte und wer nicht, wurde die Angelegenheit
der Menschenfresserei vom eurozentrierten Blick der Enkomendatoren in
geokulturell strategischer Weise ausgelegt: ritualisiert im Fall der
verbündeten Indios (zu einem bestimmten Zeitpunkt etwa die Tupinambás),
entmenschlicht im Fall der feindlichen Indios (etwa die Ouetaca). Jean de Lèry
behauptet in seinem Reisebericht über Brasilien, dass „diese ruchlosen Ouetaca
in ihrer kleinen Region unbesiegbar sind und darüber hinaus wie Hunde oder
Wölfe rohes Fleisch fressen […] Mehr noch, da sie weder mit den Franzosen,
Spaniern, Portugiesen noch sonst irgendwem von unserer Seite des Ozeans Umgang
oder Handel suchen oder pflegen, wissen sie nichts von unseren Handelswaren“.[10]
Die transatlantische Ausbeutung der indigenen Arbeitskraft, die Merkantilisierung der kannibalischen Andersheit, der innere Kolonialismus, die mittelalterliche Dichtung vom El Dorado, die imperial-paternalistische Vereinnahmung des neuen ‚Festlandes’ und das kontinentale Eindringen in einen ethno-kartographisch als Canibalia bestimmten Ort, waren demnach die Zutaten, durch die sich der okzidentale Mythos vom ‚edlen Wilden’ verkörperte und die Enkomendatorenlogik vom ‚schlechten Wilden’ territorialisierte. Das heißt, eine Logik, welche die konvertierten Indios und ‚Tainos’, die mit dem imperialen Unternehmen der Krone kollaborieren, von den grausamen, gewalttätigen und unbeugsamen Indios unterscheidet, die den metropolitanen Schutz, die imperiale Eucharistie und das Paradigma der Vormundschaft durch die christliche Religion ablehnen. Wie wir gleich sehen werden, entstanden aus den transatlantischen Handelskriegen des 16. Jahrhunderts nicht nur die symbolischen und epistemischen Kämpfe um den merkantil-kolonialistischen Kannibalismus in der Neuen Welt, sondern auch eines der mächtigsten visuellen Dispositive: die kolonial-imperiale Kartographie der kannibalischen Andersheit.
Die Kolonialität
des Sehens: Das Erscheinen des kannibalischen Territoriums und das
Verschwinden des beobachtenden Subjekts
Geformt von den dämonologischen Visionen der Missionare, von der Reiseliteratur der Eroberer, von den Erzählungen der Chronisten der Indias, von den juridisch-territorialen Argumenten der Enkomendatoren und von der Rhetorik des kartographischen Imperialismus, entstand aus dem Inneren des vorher erwähnten kolonialen, panoptischen Blicks etwas, was sich Aníbal Quijano folgend, als die Kolonialität des Sehens[11] beschreiben lässt. Durch diese Kolonialität des Blicks drückte sich sowohl die ethnographische Matrize des transatlantischen Handels als auch das imperiale Substrat der expansionistischen Kartographie aus. Durch ein eurozentrisches und universalisierendes visuelles Regime verwandelten sich die Länder der Kariben von unbekannten und entfernten Territorien, welche die mineralischen Schätze der Neuen Welt bargen, metonymisch gesprochen in die symbolische, anwesende und materielle Territorialität des Kannibalischen, in die natürliche Geographie der Kariben. Wie Luis Pancorbo zeigte, nahm diese neue geographische Beschreibung des Kannibalischen nicht zufällig wiederholt den zweideutigen Namen Caribana an.[12] Die kartographisch-imperiale Rhetorik und die Kolonialität des Sehens ermöglichte es, dass das symbolische Gewicht des Kannibalismus (der einigen karibischen BewohnerInnen der Kleinen Antillen zugeschrieben wurde), metonymisch auf den Großteil der Kartographie der Neuen Welt projiziert werden konnte, damit diese Kartographie wo immer es erforderlich sein sollte zur Rechtfertigung der Sklavenexpeditionen am Festland dienen konnte. Obwohl es weitgehend bekannt war, dass die Praxis des Kannibalismus auf bestimmte Gebiete, bestimmte Gruppen und bestimmte kulturelle Verhältnisse beschränkt war, erlaubte die Matrize der Kolonialität des eurozentrierten Blicks dergestalt, dass die Neue Welt für ein Territorium gehalten wurde, das von kannibalischen UreinwohnerInnen bevölkert war und damit ontologisch als kannibalisches Territorium bestimmt wurde.
Eines der geo-epistemologischen Regime, in denen die Entstehung der Kolonialität des Sehens am deutlichsten beobachtet werden kann, betrifft die Neuverteilung des ontologischen ‚Außen’ und des ethnologischen ‚Innen’ der imperialen Kartographien. Da die Neue Welt nach der ‚Entdeckung’ kein geographisches ‚Außen’ mehr bleiben konnte, wurde die Region Caribana seitdem als neues ontologisches ‚Außen’, als ethno-kartographisches Jenseits bestimmt. Die Trennung zwischen ‚Innen’ und ‚Außen’ hörte damit auf, eine physische und geographische Unterscheidung zwischen der bekannten Welt und den unbekannten Gebieten zu sein und wurde zu einer materiellen, theologischen und ontologischen Disziplinierung des Kannibalismus der Indias. Andererseits erweist sich, wie wir bereits festgestellt haben, die neue symbolische Geographie der menschenfresserischen Andersheit der Neuen Welt als unverständlich, wenn man nicht sowohl die neue, transatlantische, sklavenhalterische Geographie auch als die Neuerfindung der mittelalterlichen Rechtfertigungen der Ausbeutung der indigenen Arbeitskraft und des Konsums von Edelmetallen in Erwägung zieht. Das absolute und universale ‚Außen’ wurde demnach durch ein ‚Außen’ ersetzt, das visuell von der kolonialen und merkantilen Territorialisierung des Kannibalischen bestimmt wurde. Die Konstruktion dieses ethno-kartographischen ‚Außen’ sowie sein symbolisches und visuelles Vermögen zur Territorialisierung des Kannibalischen gewährleistete daher die Konsolidierung und Kontinuität der geographischen und ontologischen Ausbeutung der Neuen Welt, die 1493 von der Bulle Inter-caetera ausgelöst wurde. Die imperialen Kartographien, die eurozentrierte Proto-Ethnographie und die transatlantische Merkantilisierung der kannibalischen Andersheit sind demnach konstitutiv für die Kolonialität des Sehens.
Der koloniale panoptische Blick wirkte damit als Substrat für die Gestaltung der imperialen Karten der Neuen Welt und war die theologisch argumentative Grundlage, die es erlaubte, die vom mittelalterlichen europäischen Imaginären konstruierte kannibalische Menschenfresserei im ethno-kartographischen Bild der menschenfressenden Kariben zu verkörpern. Wie wir später sehen, wurde die gesamte mythologische Vergangenheit der Wildheit und die komplette mittelalterliche rhetorische Tradition vom Kannibalischen zur Konstruktion des ‚edlen’ und des ‚schlechten’ amerikanischen ‚Wilden’ wiederverwertet; sie lassen sich daher mit vollem Recht als mittelalterliche Indios bezeichnen. Die Wurzeln der Bilder-Archive des amerikanischen Wilden reichen von der spätmittelalterlichen Neuerfindung der griechisch-römischen Antropophagie bis in die Gestalt des Naturmenschen* und die aus dem ontologischen Problem der christlichen Eucharistie abgeleiteten kannibalischen Imaginarien zurück, das heißt, bis in die metaphorische Rechtfertigung und die symbolisch-ökumenische Funktion der Verspeisung des Körpers Gottes.
Damals wurde ein regelrechter Territorialisierungsprozess der kannibalischen Natur der Indigenen der Neuen Welt in Gang gesetzt. Diese monströse Territorialisierung ermöglichte es, dass gemeinsam mit den neuen kommerziellen transatlantischen Imaginarien eine ‚spontane Ethnographie’ (Miampika), oder ein ‚proto-ethnographisches’ Wissen (Carlos Jáuregui) auftreten konnten, in denen eine Art von epistemischer Gewalt gärte, die sich substantiell von jeder anderen Form rassischer Diskriminierung unterscheidet. Die epistemische Matrize der Kolonialität des Sehens besteht nun weder ausschließlich in der hierarchisch-zivilisatorischen Rassisierung der Indigenen noch in ihrer Bestimmung als unpolitische Wesen außerhalb der menschlichen und göttlichen Gesetze, sondern in der Vermischung der ontologischen Verneinung indigener Menschlichkeit mit der körperpolitischen und geo-identitären Produktion ihres kannibalischen Bildes. Das heißt, sie besteht in der Produktion einer ‚kartographischen Evidenz’, nach der Körper und Präsenz der kannibalischen Indios der bekannten Welt dem okzidentalen ‚Innen’ zugehören, während zugleich eine ‚ethnographische Evidenz’ produziert wird, nach der sich ihre ontologische Existenz in einem absoluten und unumkehrbaren Außen verortet, in einem rassisch bestimmten Jenseits, das durch den Zivilisationsprozess weder zu Verschwinden gebracht noch aufgelöst werden kann.
Die tiefgreifende Wechselwirkung zwischen dieser Matrize der Kolonialität des Sehens und dem Entstehen dieses frühen ethnographischen Wissens findet sich daher im Grunde der Konstruktion einer extremen Andersheit oder, genauer, eines Jenseits der Andersheit: einer radikalen epistemischen Rassisierung. Diese Radikalisierung besteht in der Überschreitung der Entmenschlichung und in der ‚Vertierung’ der kannibalischen Andersheit, um sie in ein Stadium höchster rassischer und epistemischer Minderwertigkeit zu bringen, in dem es nun nicht nur weder ‚Menschliches’ noch ‚Tierisches’ im Kannibalischen gibt, sondern in dem ebenso wenig die Möglichkeit besteht, die ontologische Monströsität der schlechten Wilden der Neuen Welt körperlich-kartographisch zu erlösen. Nachdem das ‚Sichtbar-Gemachte’ verkörpert wurde und vor allem nachdem dessen Wesen in einem imperial ontologischen Jenseits bestimmt wurde, wird diese Monströsität zum entscheidenden rassischen Mehrwert der Wahrnehmung des Kannibalismus der Indias und der gesamten überseeischen Menschenfresserei; von daher rührt die rhetorische Kraft und die narrative Macht der ethnographischen Berichte über den Kannibalismus der Neuen Welt solcher Autoren wie Montaigne oder Lèry.
Wenn es auch zutrifft, dass die Anthropologie erst im 18. Jahrhundert ihre disziplinäre Legitimität und ihre epistemisch-soziale Funktion erlangte, so leugnet das nicht den Umstand, dass bereits in der Proto-Ethnographie des 16. Jahrhunderts die Idee der ‚ethnographischen Distanz’ gärte; das heißt, die Idee der Entdeckung der Andersheit und das zum Verschwinden bringen der Gleichheit im performativen Ereignis des transkulturellen Blicks.[13] Im Fall dieser imperialen, kolonialen, proto-ethnographischen Sichtbarkeit ist darüber hinaus offensichtlich, dass die Angelegenheit der Distanz und der visuellen Objektivität aus einer Art doppelter anthropophager Überlappung entsteht: aus dem objektiven Konsum des beobachteten Subjekts und der subjektiven Selbstkannibalisierung des ethnozentrierten Blicks; das heißt, aus einem doppelten Spiel von Verkörperung und Sublimierung des visuellen kannibalischen Regimes. Die Kraft dieser Art der in der Kolonialität des Sehens liegenden epistemischen Gewalt besteht demnach in einer doppelten visuellen Strategie, dem Ursprung der gesamten optisch zentrierten kolonialen Moderne: im Erscheinen lassen des wilden Objekts und im gleichzeitigen zum Verschwinden bringen seiner selbst als Subjekt der Beobachtung. Montaigne selbst bestätigt mit Bezug auf seinen Essay über die Kannibalen ausdrücklich: „Ich selbst bin der Inhalt meines Buches“. „Montaignes Blick auf die ihm verfügbaren Nachrichten vom amerikanischen Kannibalismus“, erinnert uns Jáuregui, „ist schräg, ein Blick, der die Andersheit zum Vorwand für die kritische Begegnung mit der Gleichheit nimmt.“[14]
Zwischen der materiellen Kultur der Neuen Welt (als geographischem Ausdruck und kartographischer Körperlichkeit des Kannibalischen) und den europäisierenden visuellen Rhetoriken (als ikonographische Diskurse über ein mitten im 16. Jahrhundert wiedererlangtes biblisches ‚goldenes Zeitalter’) wurde demnach eine neue epistemologische Beziehung festgelegt. Die kartographische Erscheinung der Neuen Welt entspricht damit einer neuen Territorialisierung der Andersheit, die zugleich die Deterritorialisierung des Standpunkts von Beobachtung und Aussage des ethnographischen Wissens erlaubt. Die materielle Monströsität des nackten Körpers der Kannibalen wahrt eine Symmetrie zur Entkörperlichung (oder zur begrifflichen Entmaterialisierung) des beobachtenden Subjekts und zur angeblichen Transparenz seines Blicks. In dieser Hinsicht gab Carlos Ginzburg in seiner Studie über die brasilianischen Indios und das Denken Montaignes viele Hinweise, die uns das Verständnis davon ermöglichen, wie die Moderne eine Tradition der Renaissance aktualisierte, in der sich einerseits eine von allen Artefakten befreite, ausdrücklich objektive und leidenschaftslose Form des nackten Sehens sowie die idyllischen und rhetorischen Formulierungen eines natürlichen, ländlichen und einfachen Menschen, der ohne alle Artefakte der Kleidung auskommt, andererseits entsprechen.[15] Die epistemologische Nacktheit des kolonialen proto-ethnographischen Blicks wird seine rhetorische Entsprechung in der Idealisierung des nackten und unzivilisierten ‚edlen Wilden’ der Neuen Welt finden. Diese imperiale ethnographische Strategie der Entkörperlichung des Blicks wirkte, wie Denis Cosgrove in seinem Buch Apollo’s Eye zeigte, als Fundament eines eurozentrischen, universalisierenden und patriarchalen apollinischen visuellen Regimes, das es erlaubte, die kartographischen Rhetoriken der Atlas-Theater des 16. Jahrhunderts, den mittelalterlichen, göttlichen und allwissenden Blick in die sublunare Welt zu verlegen, in der sich die transatlantischen seefahrerischen Expansionen ereigneten.
Das erobernde ‚ich’, das ego conquiro, konstituiert ein im weitesten Sinn des Wortes optisches Unbewusstes der kolonialen Moderne, das in den transatlantischen Handelskriegen des 16. Jahrhunderts seinen Ausgang nahm. Die anthropozentrischen Technologien der Sichtbarkeit sind demnach auf der Matrize des Lichtes und der Kolonialität des Wissens errichtet, darauf, dass sie Licht (Wissen) in die Finsternis des Unbekannten werfen sowie darauf, nicht nur das beobachtende Subjekt sondern auch den Standpunkt seiner Beobachtung und der Artikulation seines Wissens zu verbergen. Santiago Castro-Gómes nannte dies die Hybris des Nullpunktes.[16] Es handelt sich um den epistemischen Unort, um die wiederkehrende Technologie der Kolonialität des optischen Wissens. Damit ist die Neue Welt in dem Maß neu, indem ihr plötzlicher Eintritt in die dreigeteilte Ordnung der okzidentalen theologischen Karte das Auftauchen eines neuen skopischen Regimes auslöste: der Kolonialität des Sehens. Die Kartographie, der ethnographische Bericht, die ‚Archive der Indias’ und die Technologien des optischen Wissens waren dazu berufen, eine entscheidende Funktion in der neuen Geopolitik des Sehens einzulösen, die von den ‚Kulturen der Entdeckung’[17] ihren Ausgang nahm.
Das in die Kolonialität des Sehens eingeschriebene ‚doppelte’ ethnographische ‚Verschwinden’, auf das wir uns zuvor bezogen, findet in den theoretischen Zugängen zum kulturellen Kannibalismus von Geoffrey Symcox, Peter Hulme, Roger Bartra, Iris Zavala, Michael Palencia Roth, Williams Arens, Sara Castro-Klarén, Frank Lestringant, Maggi Kilgour und anderen vielfältiges Echo. Aus unterschiedlichen Perspektiven, die durchaus nicht alle mit dem dekolonialen Denken übereinstimmen, trugen sie alle dazu bei, das Regime der Kolonialität der transkulturellen Visualität als ein doppelt anthropophages System zu begreifen. Das menschenfresserische ‚doppelte Verschwinden’ vervollständigt sich daher einerseits durch die evidente ‚Unsichtbarkeit’ der Beobachtenden (die mit ihrem Blick das Unbekannte und Wilde untersuchen und erforschen) und durch das spür- und konsumierbare Unsichtbarmachen (der radikalen ethnographischen Entmenschlichung) des Kannibalischen, durch diese ominöse und schändliche Anwesenheit des ‚schlechten Wilden’ andererseits, der sich nur in einer Art Negation seiner Existenz sichtbar machen darf. Angesichts dieses doppelten Regimes des nicht Wahrgenommenen lässt sich davon sprechen, dass sowohl die ‚Entdeckung’ der Neuen Welt als auch die Erfindung der ihr innewohnenden Monströsität einerseits in der Geburt einer neuen transatlantischen visuellen Ökonomie und andererseits in der eigentlichen kapitalistischen und anthropophagen ethnozentrischen visuellen Kultur eine symmetrische Entsprechung finden.
Der transmoderne
Charakter der Kolonialität des Sehens
Aufgrund dieser doppelt anthropophagen Matrize lässt sich die Kolonialität des Sehens als transmodern bezeichnen. Die Kolonialität des Sehens ist damit sowohl konstitutiv für die Moderne als auch für das, was wir vorher als „postkoloniale Krise der ethnographischen Autorität“ beschrieben haben, für das in die gesamte Kolonialität des Blicks eingeschriebene hierarchisch rassische Regime. Folglich lässt sich die Kolonialität des Sehens nicht von den aktuellen geopolitischen Spannungen und den ökonomisch-kulturellen Schulden der Region Eurolateinamerikas trennen, das heißt, von den überregionalen Konsequenzen des transatlantischen kulturellen Kapitalismus im Kontext der globalen Ökonomie. Als handle es sich um eine ontologische Spirale bestehen jene im 16. Jahrhundert aufgetauchten anthropophagen Formen der Beobachtung und Verdauung (Erschaffung) der Andersheit in unseren globalen ökonomischen Imaginarien, in der derzeitigen Rhetorik von der geopolitischen Interdependenz und den kommerziellen Verhandlungen sowie im kulturellen Erbe des ‚postkolonialen Zeitalters’ fort; das heißt, sie treten in der überregionalen eurolateinamerikanischen kulturellen Ökonomie unserer Tage in aktualisierter Form wieder auf. Die Dialektik zwischen dem beobachtenden Subjekt und jenem, das seinem Blick oder seiner Kartierung unterworfen bleibt, ist demnach wesensgleich mit dem gesamten modernen, anthropozentrischen skopischen Regime und mit allen Wandlungen der Kolonialität des Sehens. Die Karte der aktuellen Arbeitsmigration ist in diesem Sinn ein Gefäß für die Technologien und Anpassungen der Kolonialität des Sehens, welche die Bilder-Archive des Kannibalischen umgibt. Diese Bilder-Archive haben den Raum der kolonialen differance der okzidentalen Moderne durchquert und sich den neuen geopolitischen Zwängen zum postkolonialen kulturellen Konsum angepasst. Ein gutes Beispiel dieser Prozesse der epistemologischen Anpassung des kolonialen skopischen Regimes des Kannibalischen sind die Weltausstellungen – etwa die Exposição Antropológica Brasileira 1882 –, die auf der expliziten Grundlage einer exclusão inclusiva, eines inklusiven Ausschlusses des ‚schlechten Wilden’ aufbauten.[18]
Die erleuchtenden Epistemologien vom Wilden und Kannibalischen, die im Zusammenhang mit den transatlantischen Handelskriegen des 16. Jahrhunderts auftauchten, widersetzten sich letztlich der Macht der Enkomendatoren, dem inneren Kolonialismus, den burbonischen Verwaltungsreformen, der kreolischen Übernahme der metropolitanen Administrationsmacht, den Staatsnationalismen und den Dependenztheorien; darum finden sie sich heute im Kontext der globalen Arbeitsmigration wieder, in den Diskursen des liberalen Multikulturalismus, in den visuellen Rhetoriken der Kooperationsprogramme mit den in Entwicklung befindlichen Ländern sowie in der Förderung von nachhaltigem Tourismus in den Ländern der Dritten Welt. Zwischen dem Verschwinden der kannibalischen Inseln aus den fiktiven Kartographien von Pedro Mártir de Anglería und den aktuellen ethnographischen Touren, die von Agenturen für solidarischen Tourismus zu den Spuren der wilden amazonischen Welt organisiert werden, lässt sich – unter Wahrung der Verhältnisse zwischen diesen historischen Kontexten – eine bestimmte Kontinuität feststellen, die auf dem doppelten visuellen und epistemischen Verschwinden beruht, das wir oben beschrieben haben. Das modern-koloniale Weltsystem schuf Platz für die stetige Neuerfindung eines erleuchtenden Regimes, das die Anderen einerseits zyklisch konstruiert und verschlingt sowie andererseits die Gleichheit derer, die auf diese Anderen blicken, sucht und zugleich versteckt. Auf diese Weise hat die ethnophage Matrize des kolonialen panoptischen Blicks aufgehört kolonial zu sein, ohne dabei aufzuhören Teil der Kolonialität der Macht des eurozentrierten Blicks zu bleiben.[19] Daraus resultiert die politische und epistemische Kraft der Unterscheidung, die Aníbal Quijano und Walter Mignolo zwischen dem kolonialen Regime, dem Kolonialismus und der Kolonialität treffen.
Die
postkoloniale Krise der ethnographischen Autorität und die Kritik an der
optischen Zentriertheit
Das als Visuelle Studien bekannte interdisziplinäre Projekt ist grundsätzlich sowohl von der Fortführung als auch der akademischen Infragestellung der ethnophagen erleuchtenden Epistemologien überlagert. Unabhängig von internen Streitigkeiten interessieren uns hier jene Visuellen Studien, die es verstanden, die Kritiken an der Postkolonialität, die vor allem von den Theorien der Schwarzen und der Chicano Postfeministinnen, von den Theorien der Postokzidentalität, von der sogenannten dekolonialen Wende und vom Grenzdenken eingefordert wurden, aufzunehmen und neu auszurichten. Inmitten einer Kritik der Repräsentationspolitiken verstanden es diese transkulturellen Epistemologien der Visualität sich der Angelegenheit des doppelten Verschwindens des (ethnographischen) beobachtenden Subjekts und des (anthropophagen) beobachtbaren (und konsumierbaren) Subjekts zu stellen. Durch die Analyse der zeichenhaften und performativen Matrize der transmodernen visuellen Rhetoriken gelang diesen tanskulturellen visuellen Studien ihrerseits eine bestimmte Entkodifizierung der ‚Inszenierung’ Malinowskys und sie gaben damit einer Art von strategisch nicht optisch zentrierter epistemischer Selbstreflexion Gestalt.
In Erwägung der Bedeutung des von den transkulturellen Studien der Visualität vorgeschlagenen interdisziplinären Wissens erweist es sich als offensichtlich, dass die unterschiedlichen ethnozentrischen und ethnophagen Regimes der Kolonialität des Sehens – nicht nur jene, die mit den visuellen Erzählungen der Chronisten der Indias wie Pedro Mártir de Anglería, den Reiseberichten von Autoren wie Theodoro De Bry, André Thevet oder Jean de Lèry sowie eurozentrierten Essayisten wie Montaigne in Verbindung gebracht werden, sondern auch jene anderen Narrative und Imaginarien, die inmitten der spätkapitalistischen Moderne auftauchten – analysiert werden können, und dass ihnen innerhalb jenes Programms widersprochen werden muss, das Ramón Grosfoguel als interepistemischen Dialog bestimmt hat. In diesem Sinn kann festgestellt werden, dass die Tatsache, dass die Prozesse der Anthropologisierung sowie der Verdauung (und Schaffung) von Andersheit zugleich transmodern und konstitutiv modern-kolonial sind, nicht bedeutet, dass sie keine Fluchtpunkte oder epistemische Brüche haben, mittels derer sich eine nicht-erleuchtende Kritik derselben durchführen lässt. Um eine dekoloniale Kritik der kolonialen panoptischen Imaginarien vorzunehmen ist es dennoch unumgänglich zu bedenken, dass das anthropologische Wissen – das in der Schuld der skopischen Regime der Moderne steht – ein wiederholt optisch zentriertes Wissen ist, und dass die ethnographische Methode von Beobachtung und Betrachtung der Andersheit (die mit der Inszenierung von Malinowsky in Verbindung steht) gewöhnlich als Dispositiv der Überwachung und Normierung des Blicks und des Angeblickten wirkt.
Um sich als wahrhaft dekoloniale Strategien entwerfen zu können, müssen die transkulturellen visuellen Studien über die einfache Behauptung hinausgehen, dass sowohl die historische Entwicklung der kolonialen Visualität sowie imperialen Ethnographien als auch der Prozess der disziplinären Rechtfertigung des anthropologischen visuellen Denkens – in dem Maß, in dem sie alle ihren Ausgang aus dem Anspruch nahmen, universelles und universalisierendes Wissen zu sein – aufs engste mit den imperialen erleuchtenden Paradigmas verknüpft sind, die das skopische Regime der kolonialen Moderne kennzeichneten.[20] Dies ist ohne Zweifel ein Schüsselelement, um die Genealogie der Kolonialität des Sehens zu begreifen; dennoch ist es unserer Ansicht nach notwendig festzuhalten, dass auch die Unterwerfung und Subjektivierung der Andersheit durch den (An)Blick kein einheitliches universelles visuelles Regime konstituierte – noch konstituiert – und dass diese Erzählungen und imperialen Kategorien daher ersetzbar, durchlässig und hinterfragbar sind. Diesen erleuchtenden Epistemologien, die aller Beobachtung, allem Verschwinden oder ethnographischem Verdauen zugrunde liegen, muss daher widersprochen und begegnet werden; sei es seitens der Logik der dekolonialen nicht-erleuchtenden Epistemologien oder seitens der dem interepistemischen Dialog eignenden, nicht optisch zentrierten Selbstreflexion. Die visuellen Studien sind in diesem Sinn aufgefordert, jene nicht-erleuchtenden Formen zu entdecken, die den traditionellen Sozialwissenschaften entgangen sind, die aber der optisch zentrierten Geschichtlichkeit des Okzidents und dem gesamten ethnozentrierten Wissen dennoch innewohnen. Die Frage, welche die Transkulturalität den visuellen Studien gegenwärtig stellt, scheint demnach jene, ob der berechtigte Zweifel an der Kolonialität des Wissens des ethnographischen Blicks aufzuhören vermag, sich für die Verneinung der Möglichkeit instrumentalisieren zu lassen, heute einen interepistemologischen Dialog zwischen den eurozentrierten visuellen Kulturen und jenen visuellen Kulturen in die Praxis umzusetzen, die durch die modern-kolonialen Technologien des Sehens für rassisch minderwertig erklärt wurden. In diesem Sinn sollte uns die Anerkennung der Kolonialität des Sehens vielmehr in Richtung einer ‚Entdeckung’ angrenzender, alternativer und widersprechender skopischer Paradigmen führen, die der historischen Entwicklung der kolonialen Moderne eingeschrieben sind.
Berücksichtigt man sowohl die von den transatlantischen Handelsrouten eröffnete Perspektive als auch die neuen globalen Ausformungen der Kolonialität des Blicks, so mangelt insgesamt ein tiefgreifendes Nachdenken über die dunklen Gebiete der erleuchtenden Anthropologien, deren widerstreitenden Regime sowie die Strategien zur Beleuchtung der ethnophagen Macht des Visuellen selbst. Darüber hinaus mangelt es daran, dieses Nachdenken außerhalb der Gravitationslinien des postkolonialen Paradigmas zu leisten, das scheinbar nahe legt, dass die Überwindung der anthropologischen optischen Zentriertheit durch ein transkulturell unschuldiges Auge erreicht werden kann. Aus dieser Perspektive muss der Idee, dass jegliche ethnographische Beobachtung immer und unvermeidlich in einen bösartigen, exotisierenden und optisch zentrierten transkulturellen Blick mündet, sowohl mit den experimentellen Formen des poststrukturalistischen anthropologischen Wissens als auch mit den Gegenkartographien und den proto-ethnographischen Antworten auf das Regime des modernen kolonialen Weltsystems begegnet werden. Die kartographische De-Ethnisierung und visuelle Dekolonialsierung, die Felipe Guaman Poma de Ayala in Neue Chronik und Gute Regierung vornimmt, sind ein gutes Beispiel der letzteren, während die Studien von Rolena Adorno und John V. Murra über die mehr als 400 Bilder, die sich in Poma de Ayalas Buch finden, ein gutes Beispiel der ersteren abgeben könnten.
Um zum Schluss zu kommen, möchte ich die Art und Weise beschreiben, in der das Projekt Mittelalterliche Indios eine Kritik der Aktualisierungsprozesse der Bilder-Archive des Kannibalischen und Wilden artikuliert. In diesem letzten Teil werde ich ein kurze Beschreibung jenes Projekts entwerfen, mit der ich zu zeigen versuche, dass die transatlantischen Imaginarien des Kannibalischen weitgehend von den derzeitigen kulturellen Gelüsten überlagern werden, die nicht mehr nur als ‚Hunger nach Metallen’, sondern auch als Ausbeutung flexibler Arbeitskraft sowie als Akkumulation immaterieller Kapitalien verstanden werden.
Kurzgefasster
(postkolonialer) Bericht der symbolischen Rekonstruktion der Indias
Experimentelle Ethnographie im Projekt Mittelalterliche Indios von Tomás Ochoa
Es bestehen Kontinuitäten zwischen den Ideen des Monströsen der mittelalterlichen Reiseberichte und der Chroniken. Ebenso wie die ersteren die Begegnung zwischen einem zivilisierten Europa und den wilden Anderen symbolisch darstellten, tauchte dieselbe Konfrontation in der Darstellung des indigenen Monsters auf. Ein System von Analogien verglich das neu Entdeckte mit den Irrtümern, die den Diskurs vom Monströsen im indigenen Verhalten rechtfertigte.
Borja Gómez, Die mittelalterlichen Indios von Fray Pedro de AguadoIch möchte ein Kannibale sein, um meine Feinde zu fressen.
Tomás Ochoa
Das Auftauchen der Neuen Welt und die ‚Erfindung’ Amerikas sind zwei Ideen, die ihre
Grundlage in den visuellen und literarischen Rhetoriken finden, welche die
Chronisten der Indias sowie die imperialen Reisenden vom mittelalterlichen
literarischen corpus erbten. In
gleicher Weise gewann die Konstruktion des amerikanischen Wilden ihre Gestalt
ausgehend von der Aktualisierung unterschiedlicher mittelalterlicher
Imaginarien des Kannibalischen, von den argumentativen Strategien und dem
Gebrauch des diskursiven exemplum
sowie der inventio als rhetorischen
Formen, die von historiographischen und hagiographischen Kodes übernommen
wurden. Borja Gómez versuchte in seinem Buch über die missionarischen
Expeditionen von Fray Pedro de Aguado im Neuen Königreich von Granada zu
zeigen, dass die amerikanischen Indios „deshalb mittelalterlich sind, weil der
gesamte narrative Subtext dies ist; sie wurden von der christlichen Tradition,
dem mittelalterlichen literarischen Denken und dem Gewicht der Autoritäten als
Schöpferinnen der Wirklichkeit darin eingefügt […] Aguado benutzte die
mittelalterliche Theorie der Exegese, das biblische Typus-Antitypus System und
die Poetik, sodass er mittels der exempla,
eines anderen rhetorischen Elements mit langer Tradition innerhalb der
mittelalterlichen Literatur, die Geschichte als ein Gebiet darstellen konnte,
in dem sich Laster und Tugenden bekämpfen“.[21]
Die Entstehung des monströsen Charakters des okzidentalen Jenseits und seiner extremen Andersheit, dem unbeugsamen Kariben, der beim transatlantischen
Spiel des Handels mit Edelmetallen nicht mitmacht, ist demnach innig mit dem
Gebrauch der Rhetorik in der fiktionalen Literatur der Chronisten der Indias
verknüpft. Es lässt sich feststellen, dass die Erfindung des ‚edlen’ und des
‚schlechten’ amerikanischen Wilden in den mittelalterlichen Redefiguren
verankert ist, und dass der neue, von der modern-kolonialen Welt entworfene
Kannibale vor allem eine Parabel ist.
Gleichwohl beruht das rassisierende Potenzial des kolonial panoptischen Blicks auf dieser rhetorischen Immaterialität. Die Matrize der Kolonialität dieser Rhetoriken vom Kannibalischen erweist sich als so hartnäckig, dass sie, wie wir bereits feststellten, nichts anderes tat, als sich anzupassen und sich in den Ablagerungen der okzidentalen Bilder-Archive des Kannibalischen zu erneuern. Die Untersuchungen von Antonello Gerby über ‚das Streitgespräch der Neuen Welt’ zeigten deutlich, dass diese Narrative, anstatt von den aufgeklärten und positivistischen Geschichtsschreibungen abgeschwächt zu werden, vielmehr erneut aktualisiert wurden. Im Zusammenhang mit dem wechselseitigen globalen Austausch durch Migration und Arbeit in unserer Zeit scheinen die Bilder-Archive, die aus der rhetorischen und proto-ethnographischen Erfindung des kolonialen Kannibalismus im Territorium Karibe entstanden, eine neue symbolische Kraft gewonnen zu haben und zwar so, dass die Erfindung des ‚Indio’, des Anderen und Verschiedenen – als koloniale Kategorien – heute das ikonographische Substrat der sich zwischen Europa, Lateinamerika und der Karibik kreuzenden Imaginarien nährt. Die ‚Chroniken der Indias’ wirken aus dieser Perspektive wie transhistorische und transmoderne europäisierende Erzählungen im Dienst der zeitgenössischen transatlantischen visuellen Ökonomie.
Das Projekt Mittelalterliche Indios des equatorianischen Künstlers Tomás Ochoa konzentriert sich auf die Dekonstruktion dieser Kontinuitäten, auf die Enthüllung der Genealogien, innerhalb derer sich Schichten über Schichten lagerten, die den aktuellen Bilder-Archiven des kulturellen lateinamerikanischen Kannibalismus Gestalt gaben. In diesem Projekt wirken die Gesichter und Biographien der ArbeiterInnen, die im 21. Jahrhundert von Lateinamerika nach Spanien emigrierten, stärker denn blos als einfache zeitgenössische Stereotypen des amerikanischen Wilden. Ihre Funktion besteht vielmehr darin, die in die gesamte Repräsentation der amerikanischen Indigenen eingeschriebene Matrize der Kolonialität an die Oberfläche zu bringen, darin, den Ablagerungsprozess aller Bilder-Archive des indianischen Kannibalismus aufzuzeigen und die Tatsache zu enthüllen, dass unter diesen Schichten keinerlei essenzieller und ursprünglicher Prototyp des Kannibalen der Indias existiert – eine reine ikonographische Spur des amerikanischen Wilden – sondern vielmehr die ethnographische Entfaltung des europäischen kolonialen panoptischen Blicks.
Konstruiert durch die Gegenüberstellung zweier auf Metall gedruckter photographischer Serien verortet das Projekt Mittelalterliche Indios zwei ikonographische Genealogien, die durch ihre Druckprozesse unterschieden sind, aber dennoch in derselben rhetorisch-visuellen Matrize ausgewiesen werden. Einerseits begegnen wir den mittels einer photographischen Technik auf eine versilberte Platte aufgetragenen Reproduktionen einiger Stiche Théodore de Brys, die das ursprüngliche Relief von de Brys Holzschnitten mit Hilfe einer Emulsion nachbilden, welche die metallische Platte angreift. Andererseits begegnen wir einer Serie von goldfarbenen, ebenfalls auf Metall aufgetragenen Drucken, in denen sich zwei Schichten der Bilder-Archive des Kannibalischen gegenüberstehen, auf die wir bereits hingewiesen haben. In dieser zweiten Serie tauchen auf der linken Seite der Komposition Prototypen der ‚schlechten Wilden’ auf, die aufgrund ihrer Rebellion gegen die imperiale metropolitane oder kreolische Krone bekannt wurden (etwa Túpac Amaru, Cuauthémoc, Rumiñahui, Bartolina Sisa, etc.), während wir auf der rechten Seite vielmehr den Stereoptypen der zeitgenössischen ‚edlen Wilden’ begegnen, den scheinbar gut in den spanischen Arbeitsmarkt ‚integrierten’ lateinamerikanischen EmigrantInnen. Diese zweite Genealogie ist im Unterschied zur ersten nach der Oxidation der Metallplatte als ‚hochgestelltes Relief’ ausgeführt, das die Oberfläche intakt lässt. Beide Genealogie stellen damit – in deutlichem Anklang an die Wechselwirkung der transatlantischen Kämpfe zwischen dem Silber (dem materiellen Objekt der Sklavenausbeutung in Amerika) und dem Gold (dem symbolischen Objekt, mit dem die Eroberung und die Expansion in die kannibalischen Territorien gerechtfertigt wurde) – eine Gegenüberstellung zwischen Vorder- und Rückseite, zwischen Oberfläche und Tiefe, zwischen dem Hunger nach Edelmetallen und den extremen Gelüsten nach dem ikonographischen Verzehr des kannibalischen Anderen und letztlich zwischen Positiv (dem Guten) und Negativ (dem Schlechten) in den Repräsentationsprozessen des Wilden dar. Dieser Juxtaposition gelingt es, die Suche nach der ethnographischen Distanz und den Technologien des kolonialen panoptischen Blickes als Metaphern eines transparenten und unschuldigen Sehens zueinander in Gegensatz zu bringen. Die Strategie einer ‚Anwesenheit’ als Augenzeuge, die an der kannibalischen Andersheit dank einer Art ethnographischer Distanzierung dennoch keinen ‚Anteil’ hat (eine charakteristische Ambivalenz der Stiche de Brys, die angeblich buchstäbliche Übersetzungen von Hans Stadens Erzählungen über die Tupinambás sind), wird durch die Gegenüberstellung der beiden von Tomás Ochoa aufgespürten ikonographischen Genealogien aufgedeckt.
Diese Inszenierung der Kolonialität des Sehens wird schließlich durch die Animation jenes Stichs de Brys sichtbar, auf dem die Indios die spanische Gier stillen, indem sie einem gefangenen Eroberer flüssiges Gold zu trinken geben. Diese Nachschöpfung, in der die ‚monströsen Indios’ durch gegenwärtige Arbeitsmigranten ersetzt sind, stellt ein wahrhaftes tableau vivant dar, in dem sich die transatlantische koloniale visuelle Kultur, die aktuellen eurolateinamerikanischen Imaginarien und die Notwendigkeit, neue Repräsentationsformen jener Subjekte in ihrer ganzen körperlich-politischen Dimension zu denken, welche die postkolonialen Theorien irrtümlicherweise als ‚Subalterne’ bezeichneten. Mittelalterliche Indios wirkt daher als dekoloniales Dispositiv, durch das sich das rhetorische und performative Gewicht jener Dokumente und Bilder-Archive über Wasser hält, die der visuellen Ökonomie der Neuen Welt und der Geopolitik der Arbeit im kulturellen Raum Eurolateinamerika Gestalt geben.
[1] Wir setzen den Begriff Neue Welt (Novi Orbis) kursiv, nicht nur um auf die eurozentrische Genealogie der ‚Idee der Entdeckung Amerikas’ (in Übereinstimmung mit der Historisierung des Begriffs nach dem Erscheinen von Edmundo O´Gormans La invención de América 1958) hinzuweisen sondern auch, um die Beugungen zwischen der kartographischen Dimension und der kolonialen transatlantischen visuellen Kultur hervorzuheben. Eviatar Zerubavel sagte, „Amerika ist eine sowohl physische als auch mentale Einheit; die gesamte Geschichte seiner ‚Entdeckung’ sollte daher als Geschichte seiner physischen und kognitiven Entdeckung geschrieben werden“; vgl.: Zerubavel, Terra Cognita: The Mental Discovery of America, New Jersey: Transaction Publishers 2003, S. 35.
[2] Las Indias bezeichnet historisch zunächst die sogenannten Westindischen Inseln (die großen und kleinen Antillen); später wird diese Bedeutung auf die gesamte Neue Welt ausgedehnt und darf nicht mit los indios (die Indios, BewohnerInnen der Indias) verwechselt werden. Beide Begriffe bleiben hier und im Folgenden als termini technici unübersetzt (Anm. des Übers.).
[3] Encomenderos; staatlich bevollmächtigte europäische Gutsverwalter in der Neuen Welt, deren Verfügungsgewalt sich sowohl auf die Ländereien als auch auf die darin lebende indigene Bevölkerung erstreckte (Anm. d. Übers.).
[4] Jáuregui, Canibalia. Canibalismo, calibanismo, antropofagia cultural y consumo en América Latina, Madrid: Vervuert 2008, S. 79.
[5] Wir verwenden den Begriff Bilder-Archive, um uns auf die Funktion bestimmter Bilder als Gefäße anderer Bilder und Darstellungen zu beziehen. Die Bilder-Archive sind Bilder, die durch eine übereinander erfolgende Ablagerung vielfältiger Darstellungen entstehen, aufgrund derer sie eine bestimmte hermetische Geschlossenheit und ikonisch-archäologische Einheit bilden. Als Bilder-Archiv würde uns daher jede aktuelle Darstellung Che Guevaras nicht nur unmittelbar auf die massenhafte, als Synthese der Fotographie Capras produzierte visuelle Kultur verweisen (und wäre derselben zutiefst verschuldet), sondern auch auf den Mythos des lateinamerikanischen Rebellen sowie die Vorstellung von Reinheit und ideologisch-revolutionärer Natürlichkeit etc.
[6] Cliffort, Dilemas de la Cultura, Barcelona: Gedisa 1995, S. 23.
[7] Zavala (Hg.), Discursos sobre la ‚invención’ de América, Amsterdam: Rodolpi 1992.
[8] Elliott, „Renaissance, Europe and America: A Blunted Impact?“, in: Fredi Ciapelli (Hg.), First Images of America: the impact of the New World on the Old, Berkeley: University of California UP 1976, S. 11–13; vgl. auch: Levi, Los estragos de la conquista: quebranto y declive de los indios de América, Barcelona: Crítica 2006.
[9] Ibid., S. 30.
[10] Zitiert nach: Jáuregui, „Brasil especular: alianzas estratégicas y viajes estacionarios por el tiempo salvaje de la Canibalia“, in: Jáuregui/Dabove (Hg.), Heterotopías: narrativas de identidad y alteridad latinoamericana, IILI 2003, S. 92.
[11] Quijano sprach von der Kolonialität der Macht; später erweiterten die Debatten der ‚dekolonialen Gruppe’ diesen Begriff und sprachen von der Kolonialität des Wissens und der Kolonialität des Seins. Wie ich in einem anderen Text zu zeigen versuchte, würde die Kolonialität des Sehens einen bestimmten Kontrapunkt zu den anderen drei Ebenen festlegen: der epistemologischen Ebene (Wissen), der ontologischen (Sein) und der korpokratischen (oder der von Ramón Grosfoguel bestimmten körperlich-politischen) Ebene. Dieser Lesart zufolge würde ein solcher Kontrapunkt eine Perspektive auf die Analyse der optischen Zentriertheit eröffnen, die dem modern-kolonialen okzidentalen Blick eingeschrieben ist. Zu diesem Thema vgl. auch: Barriendos, „La Colonialidad del Ver: Contrapunteo Epistémico, Ocularcentrismo y Transculturalidad“, in: Cuadernos de Debate, Barcelona: VCGD (im Druck). Zur Ausweitung des Begriffs von Quijano, vgl.: Castro Gómez/Ramón Grosfoguel (Hg.), El giro decolonial. Reflexiones para una diversidad epistémica más allá del capitalismo global, Instituto Pensar: Siglo del Hombre Editores, IESCO, Bogotá 2007.
[12] Pancorbo, El Banquete Humano. Una Historia Cultural del Canibalismo, Madrid: Siglo XXI Editores 2008.
* Im Original deutsch (Anm. des Übers.).
[13] Viele TheoretikerInnen widersetzen sich – meist aufgrund der Unterstützung einer eurozentrischen Lesart der Geschichte der Sozialwissenschaften – der Idee, dass die intersubjektiven Beziehungen und die kolonialen geo-identitären Rhetoriken zwischen der Neuen Welt und der Alten als ‚proto-ethnographisch’, ‚frühe Anthropologien’, ‚spontane Ethnographien’ oder ‚ethnologische Andersheiten’ bestimmt werden. Wie der Historiker Carlo Ginzburg in einem Artikel über den Einfluss der raum-zeitlichen Sammlerleidenschaft (des Expansionismus) im ethnographischen (An)Blick der kannibalischen Indios von Montaigne vorschlug, stellt dies gleichwohl ein noch zu erforschendes interdisziplinäres Gebiet dar; vgl.: Ginzburg, Il filo e le tracce. Vero, falso, finito, Milano: Feltrinelli 2006; vgl. auch: Todorov, Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1985.
[14] Jáuregui, „Brasil especular...“ op. cit., S. 100.
[15] Ginzburg, op. cit.
[16] Santiago Castro-Gómez, La hybris del punto cero: ciencia, raza e ilustración en la Nueva Granada (1750–1816), Bogotá: Universidad Javeriana, Instituto Pensar 2004.
[17] Der Ausdruck stammt von Homi Bhabha, Nation and Narration, London: Routledge 1990; vgl. auch: Donattini, Spazio e modernità. Libri, carte, isolari nell’ età delle scoperte, Bolognia: CLUEB 2000.
[18] Stephan González/Beatríz u. Jens Andermann, Galerias del progreso. Museos, exposiciones y cultura visual en América Latina, Buenos Aires: Beatriz Viterbo Editora 2006.
[19] Mignolo hat mit völliger Klarheit gefordert, dass das Koloniale und die Kolonialität weder dasselbe sind, noch je waren; in dieser Unterscheidung wurzelt ein Teil der epistemischen Kraft der dekolonialen Wende, auf die sich Mignolo bezieht; vgl.: Mignolo, Historias locales/Diseños Globales. Colonialidad, Conocimientos Subalternos y Pensamiento Fronterizo, Madrid: Akal 2003.
[20] Vgl.: Giuliano Gliozzi, „Adamo e il nuovo mondo: La nascita dell’ antropologia come ideologia coloniale, dalle genealogie bibliche alle teorie razziale (1500–1700)“, in: The American Historical Review, Vol. 83, No. 3 (Juni 1978), S. 709–710.
[21] Jaime Humberto Borra Gómez, Los Indios Medievales de Juan Pedro de Aguado. Construcción del idólatra y escritura de la historia en una crónica del siglo XVI, Bogotá: Universidad Javeriana 2002.