Übersetzt von Birgit Mennel und Tom Waibel
Boris Buden: In deinem Buch Philosophy in Cultural Theory[1] untersuchst du den Begriff der Übersetzung im Spannungsfeld zweier Pole gegenwärtiger Theoriebildung, Philosophie und Kulturtheorie, als Form einer theoretischen Allgemeinheit, die für die Theoriekonstruktion in den zeitgenössischen Cultural Studies zumeist typisch ist. Mit der folgenden Frage möchte ich aber noch einen Schritt weitergehen: Ist dieses Spannungsfeld von Philosophie und Kulturtheorie nicht selbst Ergebnis einer Übersetzung zwischen den beiden? Roman Jakobson sprach von der Übersetzbarkeit eines künstlerischen Ausdrucks in einen anderen, etwa von sprachlicher Kunst in Musik, Tanz, Kino usw. Er nannte das „intersemiotische Übersetzung (Transmutation)“, die Übersetzung eines Zeichensystems in ein anderes. Sollten wir demnach nicht von einer Art interdisziplinärer Transmutation der Philosophie in die Kulturtheorie und umgekehrt sprechen? In deinem Buch ist diese wechselseitige Übersetzbarkeit zwischen den beiden Disziplinen das Ergebnis einer kritischen Reflexion: Die Philosophie macht eine kritische Selbstreflexion der Kulturtheorie möglich, und die Philosophie vermag sich selbst nur auf der Grundlage der Kulturtheorie als kulturelle Form kritisch zu reflektieren. Ist es (im besten Fall) auch möglich, die Übersetzung selbst als methodologische Form kritischer Reflexion zu begreifen?
Peter Osborne: Das Spannungsfeld zwischen
Philosophie und Kulturtheorie ist im weitesten Sinn sicherlich zum Teil ein
Ergebnis von Übersetzungen. Semiotisch gesprochen haben wir es mit einer
Transkodierung zu tun, die ein bestimmtes Äquivalenzniveau, ein gemeinsames
Begriffsfeld voraussetzt – und dadurch hervorbringt
–, was sich in einer Transformation oder zumindest in einer Beugung beider
Diskurse niederschlägt. Dennoch muss die Anwendung eines strukturalistischen
Modells von „intersemiotischer Übersetzung“ zwischen den Disziplinen hier stark
eingeschränkt werden. Diese Beschränkungen rühren von den historischen
Beziehungen zwischen den beiden Disziplinen her und resultieren in einer
Befragung des Modells von Disziplinarität selbst. Die Kulturtheorie, der ich
mich in diesem Buch widmete (im Wesentlichen der theoretische Aspekt der
angloamerikanischen Cultural Studies), ist zunächst größtenteils eine Bricolage[2]
entorteter Bruchstücke der europäischen philosophischen Tradition,
hervorgegangen aus dem doppelten Prisma des Pariser intellektuellen Lebens der
1960er sowie der britischen Linken in den 1970ern und 1980ern, durch die dieses
ins Englische eingeführt wurde. Daher besteht eine komplexe historische
Internalität philosophischer Elemente in dieser ausdrücklich „postphilosophischen“
Kulturtheorie, die der „Begegnung“ mit ihrem philosophischen Anderen
vorausgeht. In bestimmter Hinsicht ist es darum irreführend, diese zwei
Disziplinen als diskrete Zeichensysteme zu betrachten, entsprechend dem Jakobson’schen
Modell der Differenzen zwischen den Künsten – welches eine semiotische Version
eines mediumspezifischen Modernismus darstellt, der sich seinerseits im
Kunstkontext schon seit längerem als problematisch erweist. Dies wirft die
Frage nach der Disziplinarität auf. Selbst wenn man die
formalistisch-modernistische Version des Systems der Künste akzeptiert,
verlaufen die intellektuellen Disziplinen der Humanwissenschaften dennoch nicht
analog zu künstlerischen Medien. Ihnen mangelt es nicht nur an formaler
Ausdifferenzierung, sondern sie brachten in jüngerer Zeit auch verwirrend
komplizierte und zumeist national besondere Geschichten hervor. Es gab keinen
Greenberg der Humanwissenschaften, der imstande gewesen wäre, diese Geschichte
zu ordnen, und ich zweifle daran, dass es je einen geben kann.
Einer der Kernpunkte, welche die Auseinandersetzung zwischen der kritischen posthegelianischen philosophischen Tradition und der angloamerikanischen Kulturtheorie für mich produktiv machen, ist, dass sie einen bestimmten antidisziplinären Impuls teilen, der ihnen eher eine machtvolle transdisziplinäre denn eine interdisziplinäre Dimension verleiht. Darum erweisen sie sich auch als dermaßen gute Medien der Übersetzung. Dennoch lassen sich ihre übersetzerischen Funktionen mit dem Begriff der „intersemiotischen Übersetzung“ nicht ausreichend verstehen. Sie erfordern vielmehr ein konstruktivistischeres Verständnis von Übersetzung. Dies versuche ich zu fassen, wenn ich von Übersetzung als einer Produktionsform theoretischer Allgemeinheit oder von einem übersetzerischen Modell theoretischer Allgemeinheit spreche. Der primäre produktive Mechanismus dabei ist eine Art von kulturübergreifender oder vergleichender Kulturstudie, die sich der Transformation (anstelle der bloßen „Anwendung“) grundlegender Begriffe im Zuge der Ausweitung ihrer Geltungsbereiche auf neue Umstände verpflichtet – und zwar tendenziell tatsächlich hinsichtlich der empirischen Totalität.
Ich verhandle hier die Unterscheidung zwischen Allgemeinheit [generality] und Universalität [universality], deren Begriffe sich dialektisch relativieren, sobald sie einem eingehenden historischen Verständnis unterworfen werden. Streng genommen ist die Universalität in diesen Bereichen letztlich immer hypothetisch. Dennoch muss sie stets aufs Neue entworfen werden, damit die Allgemeinbegriffe in unterschiedlichste kognitiv produktive Beziehungen zu den neuen Situationen treten können, auf die sie angewandt werden. Eine Art „Reduktion auf die Begrifflichkeit“ ist in einem bestimmten Moment theoretischen Verstehens erforderlich, doch damit ist die Angelegenheit noch nicht beendet, da philosophische Begriffe als allgemeinere Formen wissenschaftlicher Begriffe nicht ausreichend verstanden werden können, sondern vielmehr als Mittel der Interpretation, als Elemente der Transformation von Erfahrung erfasst werden müssen. Jeder neue interpretative Kontext fügt folglich dem Begriff etwas hinzu. Ich habe die Idee von Übersetzung als Möglichkeit dafür verwendet, die Beziehung zwischen Begriffen und neuen Interpretationsbereichen zu denken und dergestalt den doppelgleisigen Charakter dieses Prozesses zu unterstreichen, nämlich die Tatsache, dass die „Wirtsprache“ (in diesem Fall die Philosophie) durch die Erfahrung verändert wird. In dieser Hinsicht verwende ich die Idee von Übersetzung, Walter Benjamin folgend, auf eine Weise, welche die „Verfremdung“ sowohl hervorhebt als auch aufwertet.
Boris Buden: Der Übersetzungsbegriff als
eine Form theoretischer Allgemeinheit hat seinen Ursprung offensichtlich in der
Kulturtheorie. Es scheint, als wäre er darin zu Hause. In der Philosophie ist
er dagegen viel eher Gast in einem „fremden Land“. Besteht Aussicht auf eine
philosophische Domestizierung des Übersetzungsbegriffs? Kurz gesagt: Ist es
nicht möglich, Übersetzung als philosophischen Begriff zu denken, etwa als
philosophisches Modell einer theoretischen Universalität, insbesondere im
Kontext dessen, was Derrida, von Übersetzung sprechend, eine „Passage zur
Philosophie“ genannt hat?
Peter Osborne: Um es nochmals zu wiederholen:
Ich denke nicht, dass sich ausgehend von einer einfachen Unterscheidung
zwischen diesen zwei Feldern die Frage nach ihren Beziehungen oder gar
Transformationen so stellen lässt, als ob sie selbstgenügsame Ausgangsbereiche
wären. Eine erste Reflexion macht deutlich, dass sie sich historisch in
vielerlei Weise gegenseitig bedingen. Ebenso wie die „Kulturtheorie“ von Anfang
an Teile der Philosophie in sich trägt, existiert auch die Philosophie selbst
immer nur in spezifischen kulturellen (das heißt linguistischen) Formen. Das
bedeutet, dass das, was wir „westliche Philosophie“ oder „europäische
Philosophie“ nennen, immer bereits das Ergebnis von Übersetzungen ist: insbesondere
zwischen Griechisch, Latein und Arabisch, noch bevor wir es mit den modernen
romanischen Sprachen und ihren Vernakularsprachen zu tun haben – die trotz
allem noch immer ein recht junges, weniger als dreihundert Jahre altes Phänomen
in der Philosophie sind. Hier liegt eine linguistische longue durée vor, die im Licht aktueller Übersetzungs- und
Kulturtheorie ebenso wie im Kontext von Globalisierungsprozessen gerade erst
untersucht wird – etwa im umfangreichen „Wörterbuch des Unübersetzbaren“, dem
von Barbara Cassin herausgegebenen Vocabulaire européen des philosophies[3].
Interessanterweise wurde daraus ein sich linguistisch und theoretisch selbst
ausweitendes Projekt. Indem die ursprüngliche französische Ausgabe – für die
das Französische unvermeidlich als Metasprache fungiert – in andere
Nationalsprachen „übersetzt“ wird, werden Fragen nach ihrer eigenen
Übersetzbarkeit laut. Diese Fragen bringen ein theoretisches Projekt auf einer
zweiten Ebene hervor, das sich auf die Beziehungen zwischen den verschiedenen
Ausgaben des Vocabulaire selbst
konzentriert.
Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob die „Domestizierung“ der Übersetzung durch die Philosophie die beste Möglichkeit zur Beschreibung dieses Vorgangs ist, da die Übersetzung durch ihre verfremdenden Effekte zur philosophisch größten Produktivität tendiert – als Form der Abrückung vom Vertrauten, die ein Bedürfnis nach begrifflicher Konstruktion hervorbringt. Das Problem mit dem Bild einer „Passage zur Philosophie“ besteht darin, dass es vorgibt, man könnte diese eines Tages tatsächlich erreichen und dann die übersetzerische Leiter sozusagen wegwerfen. Derrida hatte selbstverständlich ganz das Gegenteil im Sinn. Für ihn war die Philosophie selbst eine unendliche Selbstaufschiebung – daher auch ihr übersetzerischer Charakter. Aber ist eine „Passage zur“ unendlichen Selbstaufschiebung vonnöten? Ist man da nicht immer schon angekommen? Übersetzung ist vermutlich keine „Passage zur Philosophie“, sondern vielmehr ein Stimulus zum Philosophieren als kritisch-reflexive Tätigkeit. Dies war einer der Effekte des sogenannten linguistic turn: die Betonung der Philosophie als Tätigkeit und nicht als Doktrin, als eine Reihe von Positionen oder Ergebnissen. Diese Unterscheidung war philosophisch selbstverständlich bereits im Denken von Hegel wirksam, obwohl er einen klassischeren, das heißt optimistischeren Blick auf die Erfahrung hatte, die eine solche philosophische Tätigkeit hervorbringt.
Wir können uns Übersetzung sicherlich als philosophischen Begriff denken, doch als solcher verbleibt er im Frühstadium seiner Konstruktion – nicht zuletzt deshalb, weil die Beziehung zwischen seinen kulturellen, seinen disziplinären und seinen im strengeren Sinn linguistischen Bedeutungen gerade erst erforscht wird. Die Tatsache, dass diese Untersuchung selbst zunehmend in einer einzigen Sprache – dem Englischen – vorgenommen wird, ist ebenso problematisch wie ermöglichend. Die Idee von Übersetzung als philosophischem Begriff wirft unter anderem die grundsätzliche Frage danach auf, was es für einen Begriff bedeutet, philosophisch zu funktionieren. Jedes Modell von Philosophie hat eine andere Antwort auf diese Frage. Übersetzung als philosophischen Begriff zu behandeln ist in vielerlei Hinsicht nicht gerade überraschend. Letztlich betrachten viele Leute die Philosophie des 20. Jahrhunderts noch immer im Sinn einer Vielfalt von „linguistic turns“. Wenn Philosophie wesentlich – oder auch nur teilweise – Sprachphilosophie ist oder wenn sie von unterschiedlich gearteten Bedeutungsproblemen ihren Ausgang nimmt, wäre zu erwarten, dass Übersetzung ein zentrales Thema ist – und zwar in größerem Ausmaß, als dies abseits der späten Wittgenstein’schen Tradition tatsächlich der Fall war, wo sie in einer recht konventionellen anthropologischen Form auftaucht.
Die anthropologische Problematik ist sicherlich eine der Verbindungen zwischen der angloamerikanischen Philosophie und der britischen Tradition von Kulturtheorie. Sie verknüpft Wittgenstein mit Raymond Williams. Das ist in hohem Maße ein Phänomen der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Entkolonialisierung fand ihren ersten theoretischen Reflex innerhalb der Kolonialmächte in einer Verallgemeinerung der anthropologischen Problematik. Die Übersetzung bildete sich dort als Begriff für einen allgemeinen theoretischen Import heraus. Die Verschiebung zum Strukturalismus (aus dem Inneren der anthropologischen Problematik) veränderte die Dynamik dieser Beziehung insofern, als dieser (wie Levinas es bezeichnete) eine „Ontologie der Entkolonialisierung“ anbietet, indem er an vielfältigen Kulturen auf einer einzigen Bedeutungsebene festhält. Doch die Beziehung dieser einzigen Ebene zur Vielfalt der Kulturen blieb ein Übersetzungsthema. Im sogenannten „Poststrukturalismus“ kam es dann zu einer Rückkehr zur Problematik der Vielheiten und Begegnungen. In vielerlei Hinsicht unterstreichen Derridas spätere Arbeiten – mit ihrem Fokus auf die Gabe, die Gastfreundschaft usw. – hier eine Kontinuität mit der prästrukturalistischen Anthropologie. In gewisser Weise nahm er Themen in den Blick, die durch die Globalisierungsdynamik nach 1989 vom Standpunkt der Anthropologie der kolonialen Periode aus aufgeworfen wurden, allerdings mit philosophisch „erneuerten“ methodologischen Werkzeugen, nämlich als Verallgemeinerung des Problems der Singularität von „Begegnung“.
Boris Buden: Du hast vom „Modernismus“
sowohl als philosophischem Begriff wie auch, in seiner Allgemeinheit, als
„Übersetzung“ gesprochen. Wir können unterschiedliche, kulturell und historisch
besondere Artikulationen des „Modernismus“ als dessen Übersetzungen begreifen,
nicht aber – und das ist für dein Argument zentral – ausgehend von einem
angeblichen Original. Ein „chinesischer“ oder „indischer Modernismus“, ein
„afrikanisch-antikolonialer“, ein „sowjetischer“ oder „sozialistischer“ usw.
Modernismus sind keine besonderen Varianten eines ursprünglichen westlichen
Modernismus, der a priori durch eine Reihe wesentlicher formal-stilistischer
Merkmale bestimmt wäre. Wesentlich für eine Übersetzung ist nach Benjamin nicht
deren Beziehung zum Original, sondern vielmehr eine bestimmte Qualität, die dem
so genannten Original innewohnt – seine Übersetzbarkeit. Im Fall des
„Modernismus“ als kultureller Form verstehst du diese Übersetzbarkeit als
transzendentalen (vor jeder Übersetzung liegenden), abstrakt-universalen
zeitlichen Formalismus, als eine spezifische zeitliche Logik der Negation, die
ein besonderes Zeitbewusstsein strukturiert. Konkret handelt es sich dabei um
die Idee einer Differenz zwischen dem „Alten“ und dem „Neuen“, das heißt, um dich
zu zitieren, um „einen durch Brüche gekennzeichneten Zukunftssinn der Gegenwart
als (immer teilweise destruktiver) Übergang in eine (zeitlich) neue Ordnung“.
Auf dieser Ebene – der Ebene rein abstrakter Übersetzbarkeit – können wir von einer globalen Modernität sprechen. Dieses Verständnis des „Modernismus“ eröffnet ganz klar die Möglichkeit, diesen in einer kritischen, das heißt nicht hierarchischen oder besser gegenhegemonialen, ja sogar in einer emanzipatorischen Perspektive zu denken. Das wirft aber auch die Frage auf, ob diese rein abstrakte Ebene der Übersetzbarkeit die einzige Form ist, in der „Modernismus“ in seinem globalen Sinn erfahren werden kann. In anderen Worten: Ist es erneut allein eine philosophische Reflexion, so kritisch diese auch sein mag, die – in Form eines abstrakten Wissens – die Erfahrung globaler Modernität ermöglicht? Oder noch grundlegender: Sind die besonderen ÜbersetzerInnen des Modernismus, jene ModernistInnen, die in einem besonderen, kulturell spezifischen Kontext seine abstrakte Übersetzbarkeit artikulieren, umsetzen oder aktualisieren, notwendigerweise blind gegenüber dieser Übersetzbarkeit selbst? Sind sie – ohne die PhilosophInnen, die ihnen die Augen für die globale, universale Bedeutung der „Modernität“ öffnen – selbst die RepräsentantInnen des globalen Charakters des Modernismus? Ist Kultur ohne Philosophie blind? Ist Philosophie ohne Kultur leer?
Peter Osborne: Ich möchte nochmals
betonen, dass ich diese abstrakte Gegenüberstellung von „Philosophie“ und
„Kultur“ ablehne, wenn sie nicht als phänomenologischer Ausgangspunkt
verstanden wird, der reflexiv überwunden werden muss – gerade so wie letztlich
die Kantische Opposition von Anschauung und Begriff überwunden werden muss,
wenn wir der Möglichkeit der Erfahrung Bedeutung verleihen wollen. In der
Anordnung deiner Fragen steht Verschiedenes auf dem Spiel. Philosophisch
betrachtet betreffen die Themen zunächst: 1. den Status der transzendentalen
Bestimmungen und, in Verbindung damit, 2. den Sinn der „Abstraktheit“ der
universellen zeitlichen Formalismen der Moderne – samt ihren kollektiven
kulturellen Affirmationen (Modernismen). Kulturell und politisch scheint es, als
betreffe die Angelegenheit die soziale oder institutionelle Rolle der
„PhilosophInnen“ als TrägerInnen der Erfahrung einer hochqualifizierten Universalität
– oder wie Hegel sagen würde, als BürokratInnen.
Du sagst, dass ich die Übersetzbarkeit des Modernismus in Begriffen „eines transzendentalen (vor jeder Übersetzung liegenden), abstrakt-universalen zeitlichen Formalismus“ verstehe. Doch das trifft nicht völlig zu oder kann zumindest irreführend sein. Es ist wahr, ich verstehe die Übersetzbarkeit des Modernismus in einer Weise, die ihr einen transzendentalen Status verleiht, und zwar in dem Sinn, dass sie die transzendentallogische Möglichkeitsbedingung jeder seiner Manifestationen ausmacht; sie ist jedoch nicht allen Manifestationen „vorgelagert“, sondern nur jeder einzelnen, individuell. Hier lassen sich methodologische Thematiken über die Beziehung der transzendentalen Methode zur historischen Ontologie auffinden, die weit über Kants eigenen Horizont hinausweisen. Bestimmte, besondere Manifestationen sind die eigentlichen, historischen Möglichkeitsbedingungen der transzendentalen Form, die eine formale Repräsentation ihrer Allgemeinheit bildet. Diese Allgemeinheit mag rückwirkend individuell als eine Bedingung jeder einzelnen Manifestation gesetzt werden. Doch darüber hinaus besteht das ontologisch Besondere der kapitalistischen Gesellschaften darin, dass einige der sozialen Formen, die transzendental – und damit abstrakt – funktionieren, auch „konkret“ existieren bzw. eine konkrete Dimension aufweisen. Es gibt „konkrete“, „reale“ oder „tatsächliche Abstraktionen“. Diese Idee wurde von Marx (unter Verwendung von Hegels Logik) in seiner Wertformanalyse paradigmatisch entwickelt. Mein Einwand besteht darin, dass sie einen weitaus größeren Anwendungsbereich hat. Ich arbeite noch immer an diesem Problem (vgl. etwa meinen Aufsatz „The Reproach of Abstraction“ in: Radical Philosophy 127, September/Oktober 2004). Mein eigener paradigmatischer Fall ist der zeitliche Formalismus der Moderne. Dadurch wird weder seine transzendentale Rolle in der Etablierung der Möglichkeit einer Übersetzung negiert; noch auch wird, alternativ dazu, die Notwendigkeit der Übersetzung negiert. Doch die Beziehung zwischen beiden verkompliziert sich. Die Schwierigkeit liegt wie immer in der Frage, wie bestimmte historische Prozesse philosophisch – das heißt in der vollen Bedeutung ihrer disjunktiven Einheit – denkbar sind, ohne entweder auf eine apriorische Geschichtsphilosophie oder aber auf einen Empirismus zurückzugreifen.
Um auf deine Frage zurückzukommen, ob die rein abstrakte Ebene einer Übersetzbarkeit des „Modernismus“ die einzig mögliche Form ist, diese in ihrer globalen Bedeutung zu erfahren, so ist die Antwort ein emphatisches Nein. Sie ist nicht nur nicht die einzige Form, sie ist nicht einmal eine Form als solche. Wir erfahren die „rein abstrakte“ Ebene nur als eine konkret partikulare „reine Abstraktion“ und damit als lokale Manifestation. Es gibt eine Fülle von lokalen Manifestationen des „rein abstrakt“ Globalen; deswegen sind sie nicht weniger lokal. Das ist die „schlechte Abstraktion“ des Globalen: Sie erscheint in unmittelbar empirischen Formen. Ein besseres philosophisches Verständnis des „Modernismus in seiner globalen Bedeutung“ würde versuchen, die globale Ausdehnung seiner Verteilung nach, nämlich als Einheit seines historischen Ensembles zu begreifen. Die transzendentale Ebene des „reinen Formalismus“ vermittelt die individuellen Manifestationen und transformiert ihre Bedeutung, indem sie diese, um es so zu nennen, als individuelle Manifestationen „globalisiert“. Je weiter das Feld der Manifestationen ist, desto tiefgreifender wird unsere (widersprüchliche) Erfahrung des reinen Formalismus sein.
Es ist also nicht nur eine philosophische Reflexion, welche die Erfahrung einer globalen Modernität möglich macht. Die philosophische Reflexion zielt darauf ab, der soziohistorisch immanenten Erfahrungsstruktur eine ausdrückliche begriffliche Gestalt und Darstellung zu verleihen. In einem bestimmten Sinn nimmt dies wohl die Form von abstraktem Wissen an; doch in einem anderen Sinn vermag diese Reflexion das der sozialen Erfahrung implizite Wissen weiter zu konkretisieren, indem die Vielheit ihrer Bestimmungen in einer Weise verändert wird, die sich auf die Praxis zurückführen lässt. „Philosophie“ erscheint dabei in zwei Formen: als bestimmter – konzeptuell „reiner“ und „abstrakter“ – Diskurs sowie als immanente Transformation der Erfahrung. Beide sind jedoch miteinander verbunden. Die erste Form ist das Produkt einer philosophischen Arbeit an Materialien, die notwendigerweise zum Teil nicht philosophisch sind. Ich glaube nicht an eine „‚sich selbst genügende“ Philosophie. „Übersetzung“ ist eine Weise, die Beziehungen des Philosophischen zum Nichtphilosophischen als „Reinigung“ oder „Destillierung“ der dem Nichtphilosophischen selbst innewohnenden Beziehungen zu denken. Die BürokratInnen sind die LieferantInnen schlechter Abstraktionen. Doch es handelt sich dabei um ein nicht eliminierbares Element von Praktiken der Abstraktion, durch die wir von den sozialen Formen des Kapitals als Subjekte konstituiert werden.
Die rhetorische Pointe in Kants Antinomie vom Blinden und Leeren bestand darin, dass weder die Anschauung noch die Begriffe für sich allein möglich sind. Daher würde ich dem zustimmen, dass Kultur ohne Philosophie (im Sinne einer Reflexion ihrer Universalität) blind und Philosophie ohne Kultur (im Sinne gelebter Beziehungen und Praktiken der Universalität) leer wäre. Doch ist keine der beiden Situationen möglich, denn damit gäbe es weder „Kultur“ noch „Philosophie“ – was wiederum selbstverständlich möglich ist.
Boris Buden: Meine letzte Frage betrifft
das emanzipatorische Versprechen, das heutzutage dem Begriff der Übersetzung
vielfach zugeschrieben wird. In diesem Kontext wird Übersetzung, oder genauer
„kulturelle Übersetzung“, vor allem als dynamischer Modus kultureller
Hybridisierung betrachtet, der den essenzialistischen Begriff von Kultur
unterläuft und damit eine immanente Kritik des Multikulturalismus sowie, in
einem weiteren Sinn, eine Kritik nationalistischer Ideologien und ihrer
politischen Praktiken impliziert. Mich interessiert jedoch die Fähigkeit des
Übersetzungsbegriffs, eine allgemeinere Form der Kritik zu artikulieren, welche
die Art betrifft, wie theoretische Begriffe die Erfahrung transformieren und
umgekehrt, was genau der Art und Weise entspricht, wie du die Idee der
Übersetzung verstehst. Die Frage ist also, ob der Übersetzungsbegriff in der
Lage ist, diese wechselseitig transformatorische Beziehung von theoretischem
Denken und Erfahrung im Interesse der Emanzipation neu zu artikulieren. Kurz
gesagt, kannst du dir vorstellen, dass sich die „LieferantInnen schlechter
Abstraktionen“ – die BürokratInnen, die dem Status quo dienen – in kritische
DenkerInnen übersetzen, deren „gute Abstraktionen“ eine emanzipatorische
Veränderung hervorbringen?
Peter Osborne: Das scheint mir nicht
wirklich möglich. Es geht vielmehr darum, dass die kritischen DenkerInnen eine
Art fortwährender Übersetzungserfahrung machen müssen, um kritisch zu bleiben
oder sich kritisch zu entwickeln. Emanzipation ist ein – in tiefgreifendem Sinn
– politisches Problem, das die Frage nach der Theorie und der Transformation
von Erfahrung durch die Theorie dermaßen übersteigt, dass es schwerfällt,
Vermittlungen zu finden, um ihre Beziehungen zu denken. Der Abstand zwischen
dem „emanzipatorischen Versprechen“ und der „emanzipatorischen Veränderung“
scheint sich bis zu dem Punkt vergrößert zu haben, an dem der Begriff
„Versprechen“ irreführend wird. Es besteht derzeit ein Problem mit der
Möglichkeit von Politik im klassischen Sinn, dem bisher nicht wirklich
angemessen begegnet wurde. Um irgendeine allgemeine soziale Effektivität zu
erlangen, muss diese Art von Transformation, auf die du dich beziehst – die
Transformation von Erfahrung durch theoretische Reflexion –, von der immanenten
Struktur der sozialen Beziehungen und Praktiken ausgehen – von politischen
Praktiken im weitesten Sinn. Sie brauchen eine Übersetzung in „Politik“, ehe
sie die Erfahrung zu transformieren vermögen. Ansonsten sprechen wir nur von
der Erfahrung der Intellektuellen. Nicht die „guten Abstraktionen“ kritischer
DenkerInnen bringen unmittelbar eine Veränderung hervor, sondern vielmehr die
Immanenz dieser Abstraktionen in weiter gefassten Praktiken, auch wenn es sich
um eine konstruierte Immanenz handelt. Es geht daher um die Frage der
Vermittlung, die immer auch eine Frage von Übersetzung im weitesten Sinne ist.
Es wäre schön, Übersetzung als eine Passage zur Praxis denken zu können; nicht
nur als „Passage zum Philosophieren“, sondern eben auch als Passage zur Praxis.
Doch das ist an sich keine Politik der emanzipatorischen Veränderung. Eine
solche stellt sich, wenn überhaupt, erst im Anschluss ein.
[1] Peter Osborne, Philosophy in Cultural Theory, London, New York: Routledge 2000.
[2] „Bastelei“, von Claude Levi-Strauss in Das wilde Denken eingeführter Begriff, den er der Ingenieurswissenschaft entgegenstellt (Anm. d. Übers.).
[3] Barbara Cassin (Hg.), Vocabulaire européen des philosophies. Dictionnaire des intraduisibles, Paris: Seuil 2004.