Übersetzt von Birgit Mennel und Tom Waibel
„DeriVeD“1 basiert auf einer psychogeografischen Kartografie des Platzes des Volkes in Shanghai auf der Grundlage von DVDs, die in den umliegenden Vierteln erworben wurden. Wie an vielen Plätzen in chinesischen Städten sind DVDs leicht erhältlich und nehmen überraschende und unvorhergesehene Formen an. „DeriVed“ ist eine Karte der Bild- und Tonflüsse sowie der Dramen und Begehren, die im Kontext globaler Konflikte um geistiges Eigentum zirkulieren. Die DVDs bewegen sich auf einem Niveau von Globalisierung, das durch bewegte Bilder und Töne, flüchtiges Begehren, strukturelle Missverständnisse sowie mäandernde Bedeutungen gekennzeichnet ist. Die Installation kombiniert Texte und Bilder von DVD-Covers und umfasst Plakate nicht existierender Filme ebenso wie Textzitate, die von erfundenen Lizenzen über überraschende Taglines und verblüffende Werbetexte bis hin zu falsch ausgewiesenen Credits reichen. Die verschiedenen Kartografien des Projektes „DeriVeD“ werfen Fragen nach Fälschung und Original, nach Rips, Persiflagen und Pastichen auf, sowie schließlich die Frage abgeleiteter (derived) Übersetzungen. Die erfinderischen Verwendungen des Englischen auf diesen Covers verweisen jedoch auf keinerlei Sprachdefizit, sondern auf die Spannungen, denen die Sprache im Kontext globaler Kulturindustrien, mobiler Arbeitskräfte und neuer Formen der Klassenzusammensetzung unterworfen ist. Unter diesen Umständen ist Übersetzung ein scharfer Ausdruck politischer Widersprüche, sich verlagernder sozialer Rahmenbedingungen sowie der unwiderruflichen Verflechtung globaler und lokaler Phantasmen. Das folgende Interview mit dem Übersetzungstheoretiker Jon Solomon, Assistenzprofessor der Abteilung für Zukunftsstudien an der Tamkang Universität in Taiwan, versucht einige dieser Dynamiken zu entwirren.
Hito
Steyerl: Die englische Textproduktion auf einigen chinesischen
DVD-Covers ist ziemlich außergewöhnlich. Ich möchte
nur ein Beispiel anführen, das dem Cover von „The Departed“
von Martin Scorsese, entnommen ist: „British
pubs are jazz singer, she is sexy, vibrant untamed beauty of
naturally lively bold. She was to get rid of countless men. United
states and Britain have never been on the eyes of men, at best, is a
‚Call to come‘ that is able to play only a doll’. However there
is a perfect man – hyun a day completely changed the debauchery
Britain unable to resist his charm. He ignored all into the embrace.
Wit the people’s.“2
Die Credits für die Regie werden Nonzee Nimibutr
zugeschrieben. Die Tagline: „The set have blood.
Contain fleshy war epic. Must risk everyt-.“3
Oder, noch kürzer sogar, der Titel der DVD: „Mission
Imbpossible“.
Die Frage ist, welchen Sinn man diesem Überschuss an kreativer Übersetzung, Neuzuschreibung und Verdrehung geben soll? Welche ökonomischen, sozialen, politischen und kreativen Dynamiken überschneiden sich in dieser Art von Textproduktion?
Jon
Solomon: Ich vermute, dass diese besondere Form von Überschuss
heute wegen der Undurchsichtigkeit seines Kontexts eine gewisse
Anziehung ausübt. Dies ist keine zufällige oder äußerliche
Eigenschaft der fraglichen Elemente, da der englische Text hier auch
eine Art von Kontextualisierung darstellen soll. Es handelt sich also
um eine Frage der Kontextualisierung in einem globalen Umfeld.
Selbstverständlich ist die Frage nach Sinn und Unsinn nicht nur für die Translationswissenschaften, die sich immer damit beschäftigen mussten, zentral, sondern auch für jeden Versuch, die Beziehung zwischen Bedeutung und Welt in unserem besonderen historischen Zusammenhang zu denken. Wie kann das Verfahren der Kontextualisierung in einer Situation durchführbar sein, in der die notwendige Fiktion von Äußerlichkeit, die durch den Gedanken des Kontexts nahegelegt wird, nicht mehr auf einfache Weise funktioniert? Wir könnten auch fragen: Wie lange noch werden wir McDonald’s für „amerikanisches Fastfood“ halten, während Franchiseunternehmen in Taipeh, Hongkong und Beijing kontinuierlich Weltrekorde halten, wenn es darum geht, wie viele KundInnen pro Tag bedient werden?
Wenn Jean-Luc Nancy vom „Ende des Sinns der Welt“ und vom „Ende der Welt des Sinns“ als ein und demselben spricht, lenkt er die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, wie ein bestimmter Entwurf von Äußerlichkeit – der durch die jüngste Globalisierungswelle nahezu ausgelöscht wird – für die Konstruktion sowohl von „Welt“ wie auch von „Bedeutung“ grundlegend war, seitdem die Idee einer Weltgeschichte erstmals bedeutsam wurde. Doch er fordert uns auch auf, anzuerkennen, dass, was auch immer die Kategorie einer „geschichtlich bedeutsamen Welt“ ersetzen wird, weder im Sinne einer Rückkehr zu den „Welten“ bestimmt und gedacht werden kann, die der Erschaffung der einen, durch das Ereignis der kolonialen Entdeckung und Konfrontation bekannten Welt vorangingen, noch auch durch die Umarmung dessen, was er „somnambulen Platonismus“ nennt, in dem Worte mit Dingen einfach gleichgesetzt werden – und Werbung die philosophische Wahrheit des Zeitalters verkündet (ein eher spektakulärer denn somnambuler Platonismus, würde ich sagen). Ich nehme an, einer der Gründe, warum du dich für diese DVDs aus der Volksrepublik China interessierst, ist, dass auch du in ihrem Bedeutungsüberschuss die Verdichtung der Widersprüche wahrnimmst, die unser Zeitalter kennzeichnen: 1. dass es nur eine einzige Welt gibt (obwohl wir immer noch nicht wissen, was das bedeutet) und 2. dass wir diese einzige Welt noch nicht denken können, ohne wiederum in die Narrative des Ursprungs zu verfallen.
Wahrhaft eine „Mission Imbpossible“: Selbst wenn die Einführung des „b“ das Wort „impossible“ ganz klar in Unsinn verwandelt, wie könnten wir darin nicht eine performative Verwirklichung von Unmöglichkeit sehen (das gleichzeitige Verschwinden und den Überschuss von Kontext)? Es mag wohl fantasievoll sein, entbehrt jedoch nicht einer gewissen Grundlage, „Mission Imbpossible“ als Epigramm für die ontologische Poetik einer „Inkompossibilität“ in der heutigen Welt zu betrachten.
Hito
Steyerl: Dies ist ein wichtiger Hinweis. Diese auf dem Englischen
basierende neue Sprache ist sicherlich das Symptom eines Mangels, der
auf eine Rückständigkeit verweist und überwunden
werden muss, aber es ist nicht der Mangel und die Rückständigkeit
der AutorInnen, sondern es ist unser eigener Mangel, unsere eigene
Rückständigkeit. Ich verstehe diese Sprache als eine
Sprache aus der Zukunft, die wir leider noch nicht vollständig
erfassen können, aber die bereits sehr wichtige Botschaften über
gegenwärtige soziale Spannungen beinhaltet. Da wir sie nicht
verstehen, kommen wir nicht in unserer Gegenwart an. Ich verstehe
diese Textproduktion als einer Sprache zugehörig, die unter
Druck steht. Sie verleiht den aus vielfachen Globalisierungen
erwachsenen Spannungen Ausdruck, dem Kampf um geistiges Eigentum und
der Konfusion einer posteuklidischen Geografie, die topologische
Räume hervorbringt, welche die binären Teilungen von Innen
und Außen, Zentrum und Peripherie transzendieren. Die komplexen
Verortungen dieser Sprache werden in einem kongenialen Satz auf einem
anderen DVD-Cover präzise beschrieben: „She is from outside
the extrication.“4
Die Sprachen, die „außerhalb der Befreiung“ gesprochen
werden – in den Korridoren, Exklaven, Freihandelszonen,
Protektoraten, an den Checkpoints und in den Cordons sanitaires der
Globalisierung, an den Bruchlinien zwischen Staaten und Unternehmen
–, sind das Ergebnis wahrhaft gemeinsamer Anstrengungen. Die neuen
englischen Sprachen überall in der Welt lassen die
Gemeinsamkeiten der Zukunft erahnen. Ein flüchtig-fahler
Eindruck von dieser zukünftigen Sprache der Globalisierung wird
auch in Michael Winterbottoms (leider eher lahmem) Film „Code 2046“
gegeben, in dem Shanghai die Kulisse einer zukünftigen globalen
Stadt abgibt, die von der Angst vor verbotener Reproduktion und
inzestuösem Klonen heimgesucht wird. Das Neoenglische in diesem
Film ist jedoch viel zu zaghaft und gefügig gegenüber den
herrschenden Standards, um mit der Relevanz der dort tatsächlich
existierenden englischen Idiome mithalten zu können.
Diese werdenden Sprachen sind unwiderruflich gebrochene Sprachen. Sie werden gebrochene Sprachen genannt, weil dermaßen viel Druck auf ihnen lastet, dass sie wie tektonische Platten brechen. Sie zu sprechen ist wie Ruinen zu kauen.
Jon
Solomon: Selbstverständlich wird den NeoplatonikerInnen unter
uns selbst diese Lesart abweichlerisch erscheinen. Folglich wird man
es heutzutage immer mit einer vertrauten kulturalistischen Lesart zu
tun haben, die in einer dergestalt entstellten Kopie des Englischen
selbstgefällig die Bestätigung einer mimetischen, implizit
neokolonialen Beziehung zwischen China und dem Westen erkennen
möchte. Während des Booms um den Pacific Rim in den 1980ern
(der dem in den 1990er-Jahren beginnenden kontinentalen Boom
vorausging) veröffentlichte die Far Eastern Economic Review,
eine Zeitschrift, die über eine beträchtliche Reputation
verfügt, eine regelmäßige Kolumne, die der
angeblichen Lächerlichkeit der Verwendungen des
nicht-standardisierten Englisch in Ostasien gewidmet war …
Hito
Steyerl: … andererseits erinnere ich mich an ein bestimmte
japanische Sloganproduktion in den 1980ern, die bezüglich der
Verwendung des Englischen seinen eigenen Stil entwickelte, um eine
bestimmte lifestylebesessene Leere auszudrücken, die (meiner
Ansicht nach) offensichtlich mit der Wirtschaftsblase dieser Zeit in
Verbindung stand. In diesen Zeiten phantasmatischer Spekulation
verlor anscheinend auch die Sprache den Kontakt zu irgendetwas
außerhalb ihrer selbst – so wie der Tauschwert jeglichen
Bezug zu einem materiellen Referenten verlor – und verflachte zur
Wiederholung von Markennamen. Daher nehme ich an, dass in der
Schaffung fernöstlicher englischer Sprachen einige lokal
spezifische Dynamiken involviert sind. Aber du hast vollkommen Recht,
viele SprecherInnen eines Mainstream-Englisch betrachten diese
Phänomene mit einer überkommenen kolonialen
Selbstgefälligkeit, wobei ich wirklich bezweifle, ob sie sich
dies leisten können.
Jon
Solomon: Das von Evelyn Ch’ien veröffentlichte Buch Weird
English5
bildet ein gutes Gegengift zu dieser Art von Hybris, insofern es
aufzeigt, wie eine nicht standardisierte Verwendung des Englischen zu
einer wichtige Quelle der Kreativität, wenn nicht sogar zu einem
regelrechten Genre wurde. Dennoch deutet der vollständige Mangel
an Gleichwertigkeit, der zwischen der Zirkulation einer bedeutenden
englischsprachigen Wochenzeitschrift und einer – wenn auch
populären – akademischen Monografie besteht, auf etwas hin,
was uns die „somnambulen PlatonikerInnen“ durch die Verspottung
des nicht-standardisierten Englisch unter Einheimischen tatsächlich
verschlafen lassen wollen: Heutzutage gelten nicht mehr die
hegemonialen Geschmäcker einer nationalen oder imperialen
Bourgeoisie als Kultur, sondern alles, was den Status von Tauschwert
erreicht hat.
Wie könnte man die Ästhetik einer englischen Kopie auf chinesischen DVDs als eine Art nicht-authentischer Kultur verurteilen, angesichts des Erfolgs von „Mobiltelefon-Seifenopern“, die jüngst in Japan populär wurden und auf andere ostasiatische Länder überschwappen? Ob sie nun tatsächlich mit Mobiltelefonen geschrieben wurden oder nicht, dieses Genre – verfasst in einer vermeintlich „einheimischen“ Sprache – weist jedenfalls einen Stil und eine Grammatik auf, die bei den WächterInnen der Authentizität Kopfschütteln hervorruft. Die stilistischen Differenzen lassen sich, wenn überhaupt, in einer Übersetzung kaum wiedergeben, auch wenn man sich die Kompromisse vorstellen kann, die für eine Seifenoper eingegangen werden müssen, die zur Gänze in Form von SMS geschrieben wurde – auch wenn sie auf Englisch verfasst worden wäre. Der Sydney Morning Herald zitiert Toru Ishikawa, Professor für japanische Literatur an der angesehenen Keio Universität in Tokyo: „Die Größe des Bildschirms zwingt die AutorInnen, kurze, simple Sätze mit einfachen Worten zu verwenden. Misst man die Qualität von Literatur auf diese Weise, so wird die Verbreitung eines solchen Schreibens die japanische Literatur sicherlich verwässern … Aber es könnte SchriftstellerInnen auch dazu ermutigen, mit der Sprache auf neue, erfindungsreiche Weise umzugehen. Sprache muss sich immer entwickeln.“6
Der beachtliche „Überschuss“, der sich bei diesen DVDs zeigt, ist eine getreue Reproduktion in einem bestimmten, sehr realen Sinn, insofern sich in ihm die tatsächliche Ästhetik der Rezeption des Englischen in der heutigen chinesischen Gesellschaft widerspiegelt. Die Effekte des „englischen Tsunamis“, der die sozialen Verhältnisse auf allen Ebenen überschwemmt, können nicht überschätzt werden. Meine Wahrnehmung ist, dass die alltägliche Gestalt des Englischen einen wirklichen Überschuss für die höchst mobilen Bevölkerungen (wie etwa chinesische Arbeitskräfte) bildet, die einer neuen Form sozialer Segmentierung unterworfen sind, die teilweise auf der Dominanz der englischen Sprache auf globaler Ebene fußt.
Dies rührt an eines der grundlegenden Argumente in Bezug auf Übersetzung: Jene, für die Übersetzung notwendig ist, haben überhaupt keine Möglichkeit, aus erster Hand die Authentizität einer Übersetzung zu überprüfen. Unter den tatsächlichen Produktionsbedingungen der Übersetzungsindustrien heute, in denen eine krasse Asymmetrie zwischen Sprachen wie dem Chinesischen und dem Englischen herrscht, bedeutet dies, dass einsprachige Englischsprechende mit einem relativen Nachteil konfrontiert sind. Während ein Großteil der ChinesInnen in den städtischen Zentren heute irgendeine Vertrautheit mit dem Englischen hat, gilt dies nicht für Englischsprechende außerhalb Chinas dem Chinesischen gegenüber.
Hito
Steyerl: Dies betrifft Englischsprechende, die chinesische DVD-Covers
lesen. Wie verhält es sich mit der chinesischen Öffentlichkeit,
die höchstwahrscheinlich den überwältigenden Anteil
des Marktes ausmacht? Was sind ihre Erwartungen hinsichtlich dieser
Covers? Sollen sie „ausländisch“ aussehen?
Jon
Solomon: Ja, die Covers sollen ausländisch aussehen, ebenso wie
auch McDonald’s in China ausländisch scheinen soll. Aber diese
Kategorien sind offensichtlich unzureichend. Sie sind in erster Linie
unzureichend, weil wir es nicht nur mit einer reinen Korrelation
zwischen linguistischen und räumlichen Differenzen zu tun haben,
welche die Differenzen zwischen „chinesischem“ und „englischem“
Text problemlos auf der Folie räumlicher Differenzen zwischen
unterschiedlichen Nationen oder Zivilisationen zu kartografieren
erlauben würde. Wie wir bereits feststellten, wird Englisch
zunehmend in die Konstitution sozialer Differenzen und
Klassendifferenzen in China selbst einbezogen. Zugleich erweitert
sich der Begriff der Klasse selbst – der sich, um als Werkzeug
sozialer Analyse wirksam zu sein, traditionell auf die Differenzen
innerhalb einer einzigen Nation beziehen musste –, um eine neue,
globale Ebene einzuschließen. Eine ältere Generation von
ChinesInnen ist selbstverständlich immer noch von der
historischen Erfahrung einer „Entkoppelung“ (von der
Weltökonomie) im Maoismus geprägt, und für diese
Generation wird das Englische immer das Zeichen absoluter
Äußerlichkeit sein. Aber es ist keine Frage, dass sich die
tatsächliche Situation unwiderruflich weiterentwickelt hat. Die
Tatsache, dass chinesische Arbeiter die weltweit größte
migrantische Arbeiterschaft darstellen, die der Politik eines
einzigen Staates unterworfen ist, macht ihre Stellung dem Kapital
gegenüber potenziell explosiv. Unter normalen Umständen
würde man denken, dass die beispiellose Konzentration von
Kapitalinvestionen in Verbindung mit dermaßen enormen Niveaus
von Migration eine revolutionäre Situation hervorbringen müsste,
was jedoch nicht der Fall ist. Folglich sind wir mit einer Situation
konfrontiert, in der immer noch auf offensichtlich unzureichende
Kategorien (wie etwa „ausländisch“ und „einheimisch“)
gebaut wird, vielleicht sogar mehr denn je.
Das Bild, das ich hier zeichne, ist also eines, in dem Kultur – ein Amalgam von Bildern über Sprache und Ethnizität – jene Ideologie ausmacht, durch die das Kapital trotz verschärfter sozialer Widersprüche seine Hegemonie aufrechterhält. Hinter dem authentisch anmutenden Aussehen kultureller Image-Industrien verbirgt sich ein vollständig transnationales Produktionsregime. „ChinesInnen“ tragen nicht die alleinige Verantwortung für die Schaffung „chinesischer Merkmale“ oder einer „chinesischen Kultur“ als global anerkannter Figur anthropologischer Differenz; ebenso wenig liegt, wie sich an diesen DVDs zeigt, die Produktion „des Westens“ allein in den Händen „des Westens“. Hollywood hat die Wahrheit dieser Situation eindeutig erfasst und vermarktet verstärkt Produkte wie Geisha, die dazu entworfen wurden, die Erwartungen des asiatischen Publikums hinsichtlich eines westlichen Orientalismus zu bestätigen.
Hito
Steyerl: Du hast auch erwähnt, dass die DVD-Covers vielfach das
Original nicht nur verdrehen, sondern auch verbessern.
Jon
Solomon: Es ist eine gewisse Marktlogik in dem Professionalismus am
Werk, der sich bei einigen raubkopierten Editionen ausländischer
Filme zeigt. Diese werden mit einer Aufmerksamkeit auf das Detail und
die Präsentation veröffentlicht, welche mit den offiziellen
Versionen konkurriert und im Fall der klassischen Filme, die kaum
mehr anders als in raubkopierter Form erhältlich sind, diese
sogar überbietet.
Hito
Steyerl: Ich mochte besonders das entwendete Logo des Video Packaging
Review Committee auf dem DVD-Cover eines ansonsten tadellos
gefälschten Artificial-Eye-Arthouse-Films. Es wurde verändert
und lautete nun: „Video Fack Acino Revier Comitke“. Diese
Aufmerksamkeit auf das Detail ist unwiderstehlich: Das Logo ist klein
und nahezu unsichtbar, alles andere war perfekt. Aber dieses kleine
Logo war offensichtlich selbstreferenziell, wie ein tag, den
ein/eine GraffitikünstlerIn auf eine Wand sprüht oder wie
die Signatur eines/einer KünstlerIn. Es scheint jedoch mehrere
Herangehensweisen zu geben, wenn es um Cover-Kunst und die
Übersetzung englischer Texte geht: Manche Texte sind auf
Pseudoenglisch; andere übersetzen verrückte Handlungen von
Actionfilmen mit allem Ernst, um einer konfuzianisch-sozialistischen
Moral oder historisch-materialistischen Empfindsamkeiten Genüge
zu tun, wieder andere kopieren Wikipedia-Einträge oder verwenden
einfach Babelfish, um ihre Blurbs zu schaffen. Am interessantesten
ist jedoch die ironische Herangehensweise vieler Cover-KünstlerInnen,
die nicht davor zurückschrecken, das Cover mit äußerst
unschmeichelhaften Taglines aus erfundenen Kritiken und Magazinen zu
versehen. Diese Haltung erinnert mich an einige mittelalterliche
europäische KopistInnen, die an den Rändern ihrer
wunderschön angefertigten Schriftillustrationen hinzufügten:
„Ich langweile mich zu Tode.“ Kannst du einige der Bedingungen
nennen, die den unterschiedlichen Herangehensweisen zu dieser Art von
Text- und Bildproduktion einen Rahmen geben?
Jon
Solomon: Erstens gibt es eine Ökonomie in der Arbeitsteilung.
Die getrennten Aufgaben des Editierens der Kopie und des
Layoutdesigns werden in dieser Art des Raubkopierens üblicherweise
verknüpft. Auch wenn die Arbeit möglicherweise nicht pro
Stück bezahlt wird, gibt es hier bestimmt denselben Druck wie in
anderen Bereichen der Übersetzungsindustrie zur Produktion einer
festgelegten Stückzahl. Zweitens ist die Arbeitsteilung
gegendert. Obwohl ich keine Zahlen anführen kann, würde ich
wetten, dass mehr als neunzig Prozent der DesignerInnen und
Kopie-EditorInnen, die diese DVD-Covers tatsächlich produzieren,
gebildete städtische Frauen sind, die Kenntnisse im Umgang mit
Desktop-Publishing-Software und dem Englischen haben – auch wenn
sie nicht professionell ausgebildet sind. Drittens ist der Markt für
dieses DVDs mit einer starken Konkurrenz durch das P2P-Downloading
konfrontiert. Die Aufmachung (und die Leichtigkeit, mit der diese
DVDs beschafft werden können, ohne Spuren zu hinterlassen) ist
eine wichtige Quelle für die aufgewertete Aufmerksamkeit auf
diese Produkte.
Das transnationale Wesen kultureller Image-Industrien ist heute zunehmend mit Regimes verknüpft, die geistige Eigentumsrechte betreffen. Wie lange wird es noch dauern, bis sich der Trend zur zunehmenden Privatisierung kreativer Arbeit im öffentlichen Bereich mit den asymmetrischen Verhältnissen der globalen Übersetzungsindustrie zusammenschließt und auf diese Weise die Privatisierung von Kultur, ja ganzen nationalisierten Sprachen, beschleunigt? Während sich die herablassende Witzelei über das asiatische Englisch in den 1980ern in die aggressive Durchsetzung von Eigentumsrechten im neuen Jahrtausend verwandelt, zeichnet sich ein Kampf um Aneignung und Privatisierung von kollektivem Wissen ab, auf den wir zusteuern.
Hito
Steyerl: Wir leben bereits in einem Zeitalter, in dem das
Raubkopieren routinemäßig mit Terrorismus in Verbindung
gebracht wird und Länder mit großen Raubkopiemärkten
als Schurkenstaaten bezeichnet werden. Der Fall von Jack Valenti, dem
ehemaligen Chef der MPAA (Motion Pictures Association of America),
ist diesbezüglich sehr interessant. Er behauptete, dass die
Raubkopiererei internationale TerroristInnen unterstütze. Andere
nannten die Hisbollah, tschetschenische SeparatistInnen, kosovarische
ExtremistInnen sowie die IRA als mögliche AuftraggeberInnen
solcher Operationen. Damit wird eine Verbindung zwischen
rechtswidrigen Reproduktionsverfahren und extremer Gewalt
hergestellt, die Erstere fest im Bereich des absolut Anderen
verankern.
Valenti hatte sich bereits in den 1980ern an vorderster Front einer Kopierpanik hervorgetan. Er war berüchtigt für seine lautstarken Attacken auf den Betamax-Videorekorder von Sony und erklärte 1982 vor einem Kongressgremium: „Ich sage Ihnen, dass VCR für US-amerikanische FilmproduzentInnen und die US-amerikanische Öffentlichkeit das bedeutet, was der Würger von Boston für die Frau bedeutet, die allein zuhause ist.“ Offensichtlich wurden die Befürchtungen bezüglich rechtswidriger Reproduktion bereits zu dieser Zeit rassifiziert, und zwar in den Bildern asiatischer Industriespionage sowie des hirnlosen Kopierens westlicher Produkte. Nun werden ähnliche Behauptungen strategisch in eine Rhetorik des „Kriegs gegen den Terrorismus“ eingebettet, die P2P-User und Torrent-Downloader abschrecken und kriminalisieren soll. Andererseits sind RaubkopiererInnen oftmals selbst aktive AgentInnen einer gewaltsamen Privatisierung und Enteignung. Zahllose Fälle, in denen illegalisierte MigrantInnen gezwungen wurden, raubkopierte Waren für kriminelle Gangs zu verkaufen, belegen, dass der/die RaubkopiererIn nicht unbedingt eine hehre Figur darstellt (wie in der Vorstellung vieler Linker), sondern auch ein/eine privilegierte/r AkteurIn in der rücksichtslosen Privatisierung von allem und jedem ist, da er/sie durch das geltende Recht noch weniger eingeschränkt wird als andere AkteurInnen.
Vielleicht verleihen die gebrochenen Sprachen auf den DVD-Covers dem Amalgam all dieser Widersprüche Ausdruck: Heutzutage wird die Unterscheidung zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen als zentrale Unterscheidung zwischen Menschen durch eine weitere untermauert: jene zwischen „Wissenden“ und „Nichtwissenden“. Die gebrochenen Sprachen spiegeln möglicherweise die Kämpfe um die Kontrolle der symbolischen Produktion und Reproduktion wider. Andererseits könnten sie ebenso gut für die Anstrengungen stehen, die der Schaffung eines Gemeinsamen (einer gemeinsamen Sprache) jenseits von Nation und Unternehmen gelten. Sie entwerfen vielleicht einen unbegrenzten Raum von VirtuosInnen der Cover-Kunst, die nahezu versehentlich neue Sprachen erfinden. Dieser Raum ist sowohl ein Ort des Konflikts wie auch ein Ort der Schaffung des Gemeinsamen, ein Raum für geteilte Widersprüche. Oder wie ein Cover triumphierend erklärt: „The virtuous space worries together.“ Der virtuose Raum macht sich gemeinsam Sorgen.
download „DeriVeD“-text als PDF-Datei
1 „DeriVeD“ ist ein Projekt von Hito Steyerl für die Shanghai Biennale 2008.
2 Ungefähr: „Britische Pubs sind Jazzsänger, sie ist sexy, pulsierende ungezähmte Schönheit von natürlich lebendiger Waghalsigkeit. Sie musste unzählige Männer loswerden. Die Vereinigten Staaten und Britannien standen niemals vor Augen der Männer, bestenfalls ist es ein ‚Ruf nach Hause‘, den nur eine Puppe spielen kann. Dennoch gibt es einen perfekten Mann – Hyun veränderte die Ausschweifung eines Tages völlig, Britannien unfähig, dem Charme zu widerstehen. Er missachtete alles in die Umarmung hinein. Witz der Leute / des Volkes.“
3 Ungefähr: „Das Set ist blutig, Beinhaltet fleischige Kriegsepik. All- muss riskiert werden.“
4 Ungefähr: „Sie kommt von außerhalb der Befreiung.“
5 Evelyn Nien-Ming Ch’ien, Weird English, Cambridge: Harvard University Press 2004.
6
Sydney Morning Herald, 7. Dezember 2007,
http://www.smh.com.au/news/mobiles--handhelds/in-japan-cellular-
storytelling-is-all-the-rage/2007/12/03/1196530522543.html.