23 01 07 The PromiseDas globale Gemeinsame im Internet muss erst übersetzt werdenDie Flash-Animation „Epic 2015“[1] hätte die Geschichte schon erzählen können: Google kauft YouTube ein – und das für gigantische 1,65 Milliarden Dollar. Einen Schritt in Richtung Legalisierung unternahmen die GründerInnen der Video-Plattform noch kurz vor dem Verkauf: Sie schlossen Verträge mit den Major-Plattenfirmen[2] darüber ab, welche Songs und Videos den YouTube-ProduzentInnen legal zur Verfügung stehen sollen. Im Gegenzug werden die Labels an den Werbeeinnahmen beteiligt. In Arbeit ist außerdem eine Filterfunktion, die Videos aus anderem Material aussortiert. Genug alternative „Videotheken“ gibt es längst – nur YouTube wird nicht mehr Inbegriff für Videos-non-stopp sein. Die chinesische Regierung hat ähnliche Vorstellungen von Kontrolle über Videoinhalte wie eine amerikanische Firma und erließ ein Gesetz, nach dem für alle Videoclips vor deren Veröffentlichung im Internet eine Genehmigung einzuholen ist. Der Publizist und Literaturwissenschaftler Zhu Dake, Kritiker chinesischer Massenkulturphänomene, hält das Gesetz für „eine ziemlich reaktionäre Sache. Es ist eine Maßnahme, um die Ironisierung zu bremsen, und zugleich will man an ihr verdienen. Jede Genehmigung kostet Geld.“[3] Der Entscheidung voraus gegangen waren Mash-ups, also parodistische Videoclips aus gefundenem Material, wie jene des Bloggers Hu Ge. Aus dem Fantasy-Film The Promise[4] hat Hu die Parodie The Bloody Case that started from a Steamed Bun[5] geschnitten und die Hauptfigur, ein armes junges Mädchen, dem im Original von einer Göttin Glück und Schönheit angeboten wird, durch einen Kloß ersetzt. Gar nicht begeistert hingegen war der Regisseur des Films, bei dem sich Hu Ge entschuldigen musste, um einer gerichtlichen Klage zu entkommen. Kurz danach wurde der Wettbewerb The King of the Steamed Bun ausgeschrieben, so groß war die Begeisterung in der Online-Community.[6] „Making a parody video is an effective way to identify themselves and create a sub-cultural statement so as to rebel against the status quo“, kommentiert der Sozialwissenschafter Luo Ming aus Chengdu in der englischsprachigen Zeitung China Daily. Zhu Dake sieht das viel skeptischer. Danach gefragt, ob die Ironie in China vor allem Selbstschutz sei oder einer umfassend sarkastischen Lebenseinstellung entspreche, antwortet er: „Beides. Am Anfang war sie bloß eine Methode, um sich selbst zu schützen und um das auszudrücken, was man wirklich sagen wollte. Häufig hatte sie politische Gegenstände. Heute spielt die Ideologie eine geringere Rolle, und weil man alles zum Gegenstand der Ironie machen, alles auf den Kopf stellen kann, hat die Umwertung keinen genauen Gegenstand und keine Grenze mehr.“[7] Im neu gegründeten Institut für Kulturkritik will Zhu mit den Studierenden Benjamin, Adorno und Foucault lesen. Das seit den Anfängen des Internet gepflegte Versprechen eines globalen Gemeinsamen kann sich nur für wenige Beteiligte einlösen. Anders formuliert: Da das digitale globale Gemeinsame nicht für alle erreichbar oder gleich bedeutend ist, also nicht von einer globalen Gesellschaft genutzt werden kann, weil das angebotene Wissen etwa nie für alle von Interesse ist, von allen verstanden werden kann und schlicht und einfach für einen Großteil nicht zugänglich ist, bleibt es ein uneingelöstes Versprechen. Dabei kristallisieren sich Sprachgrenzen als konkreter Realitätsfaktor heraus. Die (hyper-) aktive chinesische BloggerInnen-Szene bleibt nur den Chinesisch-Sprechenden zugänglich, wie sich am Programm der „Second Chinese Bloggers Conference“[8], die Ende Oktober in einem Hotel in Hangzhou stattfand, nachvollziehen lässt. Während einer Live-Videoschaltung[9] zwischen dem Veranstaltungsort in China und dem Medieninstitut V2 in Rotterdam, die Teil des Programms war, und nachdem viel Zeit auf die Verständigung über die Übersetzung und Wiederholungen verwendet wurde, fiel der Kommentar einer Amerikanerin, dass dieser digitale Verständigungsversuch einer „comedy in cross-cultural translation“ gleich käme. Einer der Remote-Teilnehmer, der Medienkünstler Kuan Hunag, der zur Zeit in New York lebt, berichtet in seinem Blog bewusst auf chinesisch über die Kunstszene in New York – denn seine AdressatInnen sind Kulturschaffende in China. Und vom Medienkunst-Blog mit dem programmatischen Namen we-make-money-not-art.com existiert eine chinesische Kopie, we-need-money-not-art.com – eine Eins-zu-eins-Übersetzung der Vorlage ins Chinesische, zu der es kam, weil die chinesischen InitiatorInnen so begeistert von der Vorlage waren und viele ihrer FreundInnen nicht gut genug Englisch sprechen, um das Original zu lesen. Lustigerweise entspricht dieses Projekt vollkommen dem wirtschaftlichen Klischee der Aneignung westlicher Geschäftsmodelle (wie es sie beispielsweise von eBay oder YouTube gibt) in China. – nur in diesem Fall mit der Zustimmung der Bloggerin Regine Debatty. Ähnliche, das Web 2.0 charakterisierende Tools hat Elizabeth Stark auch im Sinn, wenn sie das kulturell Gemeinsame paraphrasierend über „a common space of cultural information that is available for the public at large to share, rework, and remix”[10] schreibt. Es ist also theoretisch verfügbar, wird aber längst nicht von vielen genutzt. Im April 2006 nahm eine Privatperson ein Streitgespräch zwischen zwei Buspassagieren in Hong Kong mit dem Handy auf und stellte den Mitschnitt online. Der sechsminütige Clip „Bus Uncle“ zeigt ein aufschlussreiches Entschuldigungsritual und spiegelt soziale Normen in Auflösung. Das Video machte schnell die Runde, landete in untertitelter Fassung in YouTube und Google Video. Einige Dialogfetzen des Wortgefechts wurden in die Alltagssprache übernommen, wie etwa „I have pressure, you have pressure“, ein Fernsehsender ließ die Szene für einen Werbespot nachspielen, „Bus Uncle“ Fans in Singpur und Südkorea drehten eigene Interpretationen. Was heißt es aber, wenn eine banale Auseinandersetzung über soziale Verhaltensweisen in China von Kultur übergreifendem Interesse sind? Lesen die einen es als Rebellion einer Generation und andere einfach als gute Unterhaltung? Ein Freund verglich seine Online-Gewohnheiten neulich mit dem Ausgehverhalten Ende der 90er Jahre in Berlin. Es gab die Dienstagsbar, die Mittwochsbar, für jeden Wochentag eine. Und es war absehbar, welche GesprächspartnerInnen sich da aufhielten. Inzwischen sei es anders, die Bars kann man nicht mehr spontan aufsuchen, ihre Gäste sind verschwunden, Online-Foren sind die neuen Bars. Jetzt trifft er sich lieber mit Online-FreundInnen aus Japan und Südamerika in den Message-Foren von Tauschbörsen. Diese Beobachtung trifft sich mit der Erwartung des Frankfurter Soziologen Christian Stegbauer. Schon 2001 prognostizierte er für Online-Kommunikation eine Herausbildung von „Spezialkulturen“ und Interessensgemeinschaften jenseits der Gruppen im lokalen Umfeld, eine zunehmende Ausdifferenzierung so genannter Special Interest Groups. Laut Stegbauer ist das technische Netz nicht unabhängig vom realen sozialen Netzwerk zu begreifen. Vielmehr wäre der Frage nachzugehen, „inwiefern die technischen Netze die lokalen sozialen Verbindungen beeinflussen oder vielleicht ergänzen.“[11] Welchem Produkt gilt es mehr als 30 Sekunden Aufmerksamkeit zu geben? Sind die Blog-AutorInnen gegenseitig ihre treuesten LeserInnen? Die klassische Aufteilung von AutorIn, Verlag und RezipientIn löst sich in Weblogs auf, meist erfüllen BloggerInnen alle Zuständigkeiten in Personalunion. ”It is true that the net may enable us to increasingly fragment as, say, territorial border-based societies, yet the need for trusted sources – be it aggregators, recommendations of friends, or major news media outlets – will continue to serve to bind societies together to an extent..”[12] Wo findet der Diskurs der Netzwerke statt, der Diskurs über Netzkultur, die Reflexion der Beteiligten? Nicht im Massenmedienbereich des Internet, also nicht im Web 2.0, denn man darf nicht vergessen, dass es im Netz auch ein Außerhalb des neoliberalen Labels namens Web 2.0 gibt, sozusagen die fortdauernde Existenz der widerständigen Netzkultur, wie es sie seit den Neunziger Jahren gibt, als vor allem Mailinglisten Diskurs produzierende Bedeutung hatten. Diejenigen, die schon vor der Etablierung des so genannten Web 2.0 das Internet als sozialen Raum verwendet haben, halten sich an den Rändern auf. Das in London erscheinende Magazin mute veranstaltete an einem Wochenende Mitte Oktober die Fortsetzungsveranstaltung zu einem italienischen Gettogether unabhängiger Online-TV-Programme. Gekommen waren VideomacherInnen, KünstlerInnen, ProgrammiererInnen und WebproduzentInnen, die Online-Videodistributionstools entwickeln, die als offene Systeme angelegt und inhaltlich auf soziale Fragestellungen ausgerichtet sind. Was heißt das genauer? Und hat das auch eine „globale Dimension“ im Sinne von Allianzenbildung, Vernetzung? Darunter sind Plattformen mit den programmatische Namen Clearchannel, undercurrents, oneworld TV und engage media[13] – Alternativen, die sich von YouTube absetzen, aber aufgrund ihres Nischendaseins bislang nur wenige Videos im Archiv lagern. Das ist die Konsequenz der Diversifizierung: Ihre Themen sind soziale Gerechtigkeit, nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte und Umweltfragen und eine klare politisch-aktivistische Agenda zum Klimawandel, zum Beispiel die Dokumentation des „Climate Camp“. Subjektiv alltäglich anfallende Informationen herausgreifen und kommentieren, so gehen BloggerInnen vor. Hin und wieder entstehen pointierte Bemerkungen, aber keine nachhaltigen Themen, es geht um die Unterhaltung im Moment, die subjektive Denkblase im glossenhaften Schreibstil, Bonmots, weniger um Überblick und größere Zusammenhänge. Die BloggerInnen verdauen den alltäglich anfallenden Informationsballast. Kontinuität liegt in der subjektiven Auswahl der AutorInnen. Weblogs sind, in ihrer Funktionsweise als kulturelle Praxis, in erster Linie Kommunikations- und Informationsplattformen, also ein statisches Medium. Blogs belegen soziale Räume, aber sie stellen diese nicht im Sinne öffentlicher Räume her. (Gute Gegenbeispiele waren aber zuletzt die Blogs während der Israel-Libanon-Bombardements im Sommer, die auch in der Presse als lokale zivile Stimmen herangezogen wurden.) Keine Chance hat daher die Kultur der Netzkritik, so wie sie in den 90er Jahren (teils immer noch) auf Mailinglisten wie Nettime praktiziert wurde. Es scheint zur Zeit keine Reflexion der Subjekt- und Machtverhältnisse innerhalb und außerhalb der Medien zu geben. Geert Lovink charakterisiert die BloggerInnen als „Digitale Nihilisten“ [14]. Peter Sloterdijk folgend, definiert er Nihilismus als Unmöglichkeit von Opposition, als modernen Zustand. „Das globale, niemals ausgeschaltete, immer verlinkte, immer aktuelle öffentliche Gespräch“ beschleunigt die Fragmentierung der Medienlandschaft. Nihilismus verstanden auch als Anerkennung der Vielfalt von Bedeutungen zeigt eine gewisse Gleichgültigkeit und Gleichzeitigkeit verschiedenster Phänomene. Wer spricht zu wem und worüber, lautet die zentrale Frage. Den Zustand zu benennen versucht Arie Altena, wenn er über die WebloggerInnen völlig außerhalb von Rezeptionskreisläufen nachdenkt und unprätentiös vom Prinzip des „publishing for no public“ spricht. Blogging soll als Gesprächsangebot, als Gesprächsaufforderung verstanden werden – aber nicht als Handlungsaufforderung. Oder die einzige Aufforderung kann darin liegen, Kultur zu konsumieren oder selbst einen Blog zu starten. Für lokale
Eigenschaften interessiert sich die iranische Soziologin Masserat Amir-Ebrahimi Was hier nach einem auf andere Kontexte übertragbaren Konzept klingt, verdeutlicht die Autorin am Beispiel der iranischen WebbloggerInnenszene. In einem Land wie dem Iran, in dem Meinungsfreiheit und Bewegungsfreiheit nicht selbstverständlich sind und nicht viele über Englischkenntnisse verfügen, stellt sich eine andere Situation dar. „Therefore, their understanding of Cyberspace and its usage is very limited. (…) The Presence of emigrant Iranians in Iran’s cyberspace has an outstanding effect in the course of integration and inclusion of Iranian society in the global society.” Hier nehmen die ExiliranerInnen also die Rolle eines iranischen Image-Korrektivs von innen ein. Über die gemeinsame Sprache wird ein Kommunikationsraum hergestellt. In dem Buch „We are Iran” von Nasrin Alavi geht es darum, in erster Linie durch Übersetzungen ins Englische die Weblog-Aktivitäten und -Selbstbehauptungen für andere außerhalb des persischen Sprachraums nachvollziehbar zu machen und so eine nicht von der iranischen Regierung kommunizierte Entwicklung zu vermitteln, ein anderes Iran-Bild zu verbreiten. Ein weiteres Beispiel für die Analyse von mehr oder weniger nationalen Online-Gewohnheiten und Vorlieben findet in der grade erst erschienen Publikation „Control + Shift. Public and Private Usages of the Russian Internet”[16] statt. In ihrem Beitrag „Our RUNet?“ stellen die Herausgeberinnen fest, wie kulturelle Identität und Mediengebrauch in Russland zusammen hängen. Das russische Internet betrachten sie innerhalb der Grenzen von Sprache, Technologie, Territorium, kulturellen Normen, Traditionen oder Werten sowie politischer Macht. Zu den spezifischen Umständen, unter denen aus dem RuNet das geworden sein soll, was es heute ist, gehört der „grassroots effect“: Die Entwicklungen im Online-Bereich beruhten von 1991 bis 1998 maßgeblich auf privaten wirtschaftlichen und kulturellen Initiativen, und wurden nicht von staatlichen Anstrengungen unterstützt. Deswegen beteiligten sich viele unvoreingenommen. Außerdem habe die Möglichkeit, ab Mitte der 90er Jahre kyrillische Schriftzeichen anstatt lateinischer Transkriptionen zu tippen, eine breitere Nutzung ausgelöst, vergleichbar mit den Effekten in arabischen Ländern, als es möglich wurde, mit arabischen Buchstaben zu schreiben. Einerseits verspreche man sich von der Anwendbarkeit der eigenen Sprache eine nächste Demokratisierungsphase, da sich mehr Leute beteiligen können, jedoch „with regard to the contents, though, it results in a growing separation of the RuNet as a kind of „ethnonet“ (Goralik 1999), a tendency especially significant for those segments of the World Wide Web that do not use the Latin alphabet.“[17] Mit der Digitalisierung der Schriftzeichen ergaben sich neue Zugangs- aber auch Abgrenzungsmöglichkeiten. Übersetzungen sind daher gefragt und Strategien, die diese Übersetzungsprozesse langfristig ersetzen können. [1] http://epic.makingithappen.co.uk/. In der Zukunft, die „Epic 2015“ vorhersieht, fusionieren Google und Amazon zu Googlzon. Wenig später erschien eine Übersetzung in die deutsche Medienlandschaft, http://media.aperto.de/google_epic2015_de.html. [2] Universal Music Group, Sony BMG, Warner Music Group, EMI in Verhandlung [3] Zhu Dake im Interview mit Mark Siemons, „Der Chinese im Kulturkampf“, FAZ, 22.9.2006 [4] Chinesischer Originaltitel: Wu Ji, Regie: Chen Kaige [5] http://www.youtube.com/watch?v=AQZAcT1xaKk&eurl=, englische Übersetzung http://www.angelfire.com/blog/geminiaffairs/parody.html (nur Text) [6] www.tianya.com, www.163.com [7] Zhu Dake, a.a.O. [9] CREATIVITY 2.0 - Rotterdam satellite of the 2nd Chinese Bloggers Conference. An der Veranstaltung war ich im Vorfeld an der Konzeption und während dessen als IRC Moderatorin beteiligt. [10] Elizabeth Stark, Free culture and the internet: a new semiotic democracy, 20 June 2006, www.openDemocracy.net [11] Christian Stegbauer: Grenzen virtueller Gemeinschaft. Strukturen internetbasierter Kommunikationsforen. Opladen: Westdeutscher Verlag 2001 [12] Elizabeth Stark, a.a.O. [13] http://clearerchannel.org/, http://www.undercurrents.org/offlinetv/, http://tv.oneworld.net, http://engagemedia.org [14] Gert Lovink, „Digitale Nihilisten. Die Blogosphäre unterminiert den Medienmainstream“, in: Lettre International Nr. 73, Sommer 2006 [15] Erschienen im arabisch-englischsprachigen Kulturmagazin PAGES, das von Nasrin Tabatabai und Babak Afrassiabi in Rotterdam herausgegeben wird, www.pagesmagazine.net. [16] Eds. Henrike Schmidt, Katy Teubener, Natalja Konradova. Norderstedt: Books on Demand, 2006; Buchbeiträge online: http://www.ruhr-uni-bochum.de/russ-cyb/library/texts/en/control_shift/control_shift.htm [17] Henrike Schmidt, Katy Teubener, „‚Our RuNet’? Cultural Identity and Media Usage“, ebd., S. 14-20, hier S. 15, http://www.ruhr-uni-bochum.de/russ-cyb/library/texts/en/control_shift/Schmidt_Teubener_Identity.pdf |
Vera Tollmann |