12 2006 Dingsprache und SprachmagieZur Idee latenter Wirksamkeit bei Walter BenjaminWalter Benjamin hat die These vertreten, dass Übersetzung nicht nur zwischen verschiedenen Sprachen vonstatten geht, sondern dass die menschliche Sprache überhaupt von einer Arbeit der Übersetzung getragen ist. Ursprünglich übersetze sie nichts anderes als die Sprache der Dinge. Während man die Funktion der Sprache gemeinhin darin erblickt, kraft Benennung die Dinge in kommunizierbare und damit kategorisierbare Gegenstände zu verwandeln, macht Benjamin im Gegenzug geltend, dass diesem Vermögen ein Empfangen vorausgeht. Die Sprache der Dinge zu vernehmen und alsdann zu übersetzen sei Bedingung aller Benennung. Ein solches Vernehmen, das selbst nicht wiederum auf der Übermittlung sprachlicher Inhalte beruhen kann[1], verdankt sich dem so genannten mimetischen Vermögen. Weder die Vorstellung vertretend, dass Sprache rein arbiträr, noch dass sie aus onomatopoetischen Lautbildungen allein entstanden sei, meint Benjamin vielmehr, die Fähigkeit, Ähnlichkeiten zu bemerken und zu stiften, habe die Sprachbildung angetrieben. Für wie immer fraglich oder fruchtbar man eine solche spekulative Reflexion auf die Entstehung der Sprachen halten mag, bedeutsam ist die These sprachbildender Übersetzung doch in zweierlei Hinsicht: zum einen weil Benjamin den Begriff der Sprache auf die der Dinge ausdehnt und mit dieser Erweiterung ein anderes, von ihm als magisch benanntes Sprachverständnis einbringt und zum zweiten weil er mit der jeder Aussprache vorausgehenden Ansprechbarkeit eine passivische Bedingung der menschlichen Rede behauptet. In dieser Verkehrung des gewohnten Verhältnisses von Mensch (aktiv) und Dingwelt (passiv) artikuliert sich eine ebenso weitreichende wie bedenkenswerte Umdeutung ihres Verhältnisses. In dem Aufsatz mit dem Titel „Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen“[2] legt Benjamin nicht nur die Grundlagen seiner Übersetzungslehre, er entwirft auch die ungewöhnliche Idee einer Sprache der Dinge und formuliert eine in der Tradition der Frühromantik stehende Theorie der Sprachmagie. Diesen letztgenannten Aspekt des Magischen hat Benjamin selbst als das „Urproblem der Sprache“ (II, 142)[3] bezeichnet. Die Idee eines magischen Wesens der Sprache ist der Kritik an einem instrumentellen Sprachverständnis geschuldet, das er als bürgerliche Vorstellung zurückweist. Es sei zu kurz gegriffen, wenn man die Sprache darauf reduzieren wollte, ein bloßes Vehikel wörtlicher Mitteilung zu sein, deren „Gegenstand die Sache“ und deren „Adressat der Mensch“ (II, 144) ist. Gegen diese naive Sprachauffassung wendet sich Benjamin, indem er zunächst den Begriff der Sprache ausweitet: „Jede Äußerung menschlichen Geisteslebens kann als eine Art der Sprache aufgefasst werden […]. Man kann von einer Sprache der Musik und der Plastik reden, von einer Sprache der Justiz […] [oder] der Technik“ (II, 140). Sprache sei nicht notwendig wortgebunden, sondern umfasse jegliche wahrnehmbare Artikulation im Sinne eines formierenden Prinzips des Ausdrucks überhaupt. Es gäbe nichts, das nicht an der Sprache teilhabe, denn es bliebe unvorstellbar, was sich nicht im Ausdruck mitteilt (vgl. II, 140 f.). Das jedoch, was sich im Ausdruck artikuliert, sei das geistige Wesen. „Sprache bedeutet in solchem Zusammenhang das auf Mitteilung geistiger Inhalte gerichtete Prinzip in den betreffenden Gegenständen“ (II, 140). Es mag nun problematisch erscheinen, den Begriff des geistigen Wesens, wie es Benjamin allerdings ausdrücklich tut, auf die Dingwelt zu beziehen. Er veranschaulicht ihn deshalb auch zunächst anhand der menschlichen Sprache, indem er neben dem instrumentellen Gebrauch einen poetischen Sprachgebrauch geltend macht und zwischen dem Ausdruck durch die Sprache und dem Ausdruck in der Sprache unterscheidet. Durch die Sprache – das meint ihrem instrumentellen Gebrauch gemäß – teilt sich ein Inhalt, also das mit dem Wort Gemeinte mit. Durch die so verstandene Sprache werden Informationen, Sinngehalte transportiert. Dagegen teilt sich in der Sprache noch etwas anderes mit: Im Ausdruck oder in der Weise des Sprechens zeigt sich eine Bedeutung ganz eigener Art, die nicht einmal mit dem Inhalt des Gesagten übereinstimmen muss. Benjamin belegt nun die Weise des Sagens, die Sprachform, mit dem Begriff der Sprache überhaupt und bringt damit implizit zum Ausdruck, dass ihm die Form der Artikulation als wesentlicher für die Sprache gilt als die Mitteilbarkeit von Inhalten, ihre Referenzialität. Benjamin behauptet damit sehr viel mehr als bloß die These, dass die Bedeutung des Gesagten nicht von der Art des Sagens zu trennen ist, dass also der Inhalt einer Rede unablösbar an ihre Form gebunden ist. Man muss vielmehr radikaler dafür argumentieren, dass die Form des Sprechens eine unabhängige, andere, vor allem aber: eine latente Bedeutung erzeugen kann. Besonders deutlich wird dies in der Poesie. „Was ‚sagt‘ denn eine Dichtung? Was teilt sie mit? Sehr wenig dem, der sie versteht. Ihr Wesentliches ist nicht Mitteilung, nicht Aussage“ (IV, 9). Es ist die Art des Meinens, die das Gedicht zur Dichtung macht. Sie lässt sich nicht restlos in etwas Aussagbares übersetzen, daher die tendenzielle Unbestimmbarkeit poetischer Rede und daher ihr magischer Charakter. Denn es bringt sich in der Sprache des Gedichtes jenseits des benannten Inhalts etwas anderes, etwa eine Stimmung oder Atmosphäre zum Ausdruck, die weder semantisch, auf der Ebene der Wortbedeutungen vermittelt wird noch sich restlos in einen Sinngehalt übersetzen lässt. Diese andere Mitteilung überträgt sich unmittelbar – ohne den Umweg über den Sinn, wobei die Sprache selbst das Medium dieser impliziten Übertragung ist. Medientheoretisch formuliert ist das Medium hier die Botschaft: „Jede Sprache teilt sich selbst mit“ (II, 142). Diese unmittelbare Mitteilung nennt Benjamin nun magisch. Denn die Sprache fungiert hier – ganz im Sinne der okkulten Praxis – als Medium einer wirksamen Übertragung. Er hat dabei nicht allein die frühromantische Sprachtheorie eines Novalis oder Schlegel im Sinn,[4] sondern sicherlich ebenso die ethnologischen Studien über Magie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zirkulieren. Folgt man der ethnologischen Untersuchung etwa von Marcel Mauss, dann beruht die magisch erzeugte Wirksamkeit zwar im Grunde auf einer unterstellten Kausalität, allerdings gehören hier Ursache und Wirkung verschiedenen Ordnungen an. In der Magie wird die Wirkung nicht mechanisch erzeugt und ist nicht das greifbare Ergebnis der rituellen Handlungen, sondern geht über sie hinaus. Die Wirkung übersteigt das Register der sie verursachenden Handhabungen.[5] Dieser Wechsel der Ordnungen ist nun in Bezug auf Benjamins Theorie der Sprachmagie von außerordentlicher Wichtigkeit, da allein dadurch ersichtlich wird, dass die Effekte der Sprache implizit sein können. Sie sind gleichsam in die Sprachform eingewoben, sodass die wirksame Kraft und ihr Milieu hier nicht zu trennen sind.[6] In der Sprache kann zum Ausdruck kommen, was sich verbal nicht sagen oder fassen lässt, und doch kann es sich sprachlich übertragen. Diese impliziten Effekte der Sprachform haben zur Folge, dass sich Unaussprechliches ereignen oder zeigen kann, freilich ohne deshalb schlichtweg präsent oder repräsentierbar zu sein. Es wird mit der These von der Sprachmagie vielmehr eine Sprachschicht entdeckt, in der sich latente Bedeutungen vermitteln. In der Theorie magischer Praktiken wird eine solche Weitergabe des Latenten und bloß Impliziten als Ansteckung theoretisiert, und in Bezug auf Benjamins Entwurf einer Sprache der Dinge darf man schließen, dass ihm solche Modelle sympathetischer Ansteckung als Vorbild dienten.[7] In dieser Idee einer ebenso unmittelbaren wie latenten, aber ansteckenden und affektiven Übertragung liegt der entscheidende Unterschied zu Theorien der Performativität, bei denen Ausgesagtes und Bewirktes in eins fallen. Der performative Sprechakt erzeugt genau das, was er benennt. Benjamin dagegen sucht mit der Idee der Sprachmagie eine sprachliche Wirksamkeit zu denken, in der sich in der Sprache anderes als das durch die Worte Repräsentierte transportiert.[8] Benjamin meint nun aber nicht nur, dass innerhalb einer Sprache – etwa im poetischen Sprachgebrauch – das „Wie“ des Sagens relevant ist, sondern dass jede Sprache selbst eine solche Form des Sagens ist. Sprache ist gerade das formierende Prinzip des Ausdrucks überhaupt. Benjamin knüpft hier an Humboldts Idee der inneren Sprachform an. In einer jeweiligen Sprache drückt sich demnach eine spezifische Form des Sagens aus, und über diese Sprachform wird zugleich eine jeweilige kulturelle Bedeutsamkeit gestiftet. Den verschiedenen Sprachformen korrespondiert der Unterschied der Kulturen. Auch hier ist die Sprachform unmittelbar, da sie nicht der Gegenstand der Rede ist, sondern ihr Stil. In ihr teilt sich das „geistige Wesen“ mit, insofern sich durch sie der sprachlich strukturierte Weltbezug und damit verschiedene Weisen des Erscheinens des Wirklichen bezeugen. Die Sprachform kann daher als die jeweilige Signatur der Weltzuwendung gelten. Damit wird einsichtig, dass Sprache als das auf Mitteilung des geistigen Wesens gerichtete Prinzip auch für die Sphäre der Dinge geltend gemacht werden kann. Das geistige Wesen teilt sich in der Sprache, nicht durch sie mit. Die Sprache der Dinge teilt nicht die Dinge mit, sondern ihre Physiognomie, also ihren Ausdruckswert. Das ‚geistige Wesen’ der Dinge ist demnach die Form, in der sie sich mitteilen, also die Art, wie sie gegeben sind, das „Wie“ ihrer Erscheinungsweise. Weil sich in der Dingwelt ein ganzes lebensweltliches Gefüge zum Ausdruck bringt, spricht Benjamin von einer Sprache der Dinge, und deshalb liest er den kulturellen Artefakten Bedeutsamkeiten ab, die über ihre gängige Gebrauchsfunktion hinausgehen.[9] Magisch ist eine solche Dingsprache zu nennen, weil sich mit den Sachen, unwillkürlich, eine Zugänglichkeit zu ihnen mitformiert, anders gesagt: weil an die Dinge mit den Weisen des Umgangs, der Handhabungen und Praktiken auch Welteinlassungen gebunden sind, die zwar implizit verbleiben, aber darum nicht weniger wirksam sind. Auch die Sprache der Dinge ist in dem genannten Sinne magisch, da sie auf einer Ansteckung durch das Latente oder Implizite beruht. Die Sprache der Dinge meint die Art, wie wir von einer Sache angesprochen sind. Und dieser Appell oder Anspruch bestimmt seinerseits das Sprechen. Anstelle der identifizierenden Verfügung über die Gegenstände qua sprachlicher Kategorisierung fokussiert Benjamin das Angegangen-Werden durch die Dinge als Bedingung ihrer Benennbarkeit. Insbesondere sein Werk Berliner Kindheit um neunzehnhundert[10] erzählt von der affektiven Kraft der Dinge, die einer sprachlichen Verfügung vorausgeht. Der Mensch lebe berührt von der Dingwelt wie das „Weichtier in der Muschel“ (BK, 59), ganz „in die Stoffwelt eingeschlossen“ (BK, 61). Die Affizierbarkeit durch das Umgebende sei ein Relikt der Notwendigkeit, sich anzupassen[11], und die Tendenz zur Ähnlichkeit trete in aller Deutlichkeit in der Kindheit auf: „Das Kind, das hinter der Portiere steht, wird selbst zu etwas Wehendem und Weißem, zum Gespenst. […] Und hinter einer Türe wird es selber Tür […]“ (BK, 61). Solcherart in eine Erfahrung der Dinge eingelassen, artikuliert sich deren Wirksamkeit in der erzeugten Mimesis. Diese magische Übertragung von Eigenschaften verlagert sich nun mit der Zeit in die Sprache, die zum Medium der Korrespondenzen wird.[12] Von Interesse ist diese These der Mimesis an die Dingwelt allerdings nicht nur aus sprachphilosophischer Perspektive, sondern vor allem im Hinblick auf die praxis-formierende Kraft der Dingwelt. Denn dass die Dinge ansteckend wirken und ihre Sprache nicht zu distanzieren ist, stellt eine Einschränkung der selbstbestimmten Handlungsfähigkeit des Menschen dar. Die Sprache der Dinge und die durch sie vermittelte Welteinlassung affiziert den Menschen: Er ist „entstellt von Ähnlichkeit“ (BK, 59) mit dem Umgebenden und dies wirkt sich bis in sein Handeln aus. Denn an den Dingen formen sich „die Eigenschaften, die für sein Dasein mitbestimmend“ (BK, 96) sind. Die uns geläufige Vorstellung von den Dingen als Objekten, die wir dank der Sprache rubrizieren und die wir für unsere Zwecke nutzen können, ist für Benjamin bloß die oberste Schicht, gleichsam ein Symptom, dem weitere, unbewusste Schichten eingelagert sind. So wie die menschliche Sprache sich aus der Dingsprache speist, so grundiert eine unwillkürliche Ansteckung durch die Dinge ihren zweckrationalen Gebrauch. Auf dieser unbewussten Schicht kehrt sich das Verhältnis von Subjekt und Objekten um: Hier entfalten Letztere ihre Wirksamkeiten, ihre Sprache überträgt sich auf den Menschen, der durch Stimmungen, Gewohnheiten und Handlungsformen in ihre Texturen eingelassen ist. Wenn man also formulieren kann, dass nicht nur die Sprache der Dinge in die des Menschen übersetzt wird, sondern dass es auch ein Übersetzt-Werden durch die Dinge in die Lebenswelt gibt, dann vollzieht sich dies auf der Ebene von Haltungen und Praktiken. Durch die Dinge etablieren sich Sichtweisen und Gewohnheiten, die „den“ Menschen gemäß den geschichtlichen Transformationen der Dingwelt wandeln. Benjamin hat insbesondere angesichts der medialen Umbrüche, wie sie sich durch die bildlichen Reproduktionsverfahren ergeben, argumentiert, dass die neuen Techniken eine Neuformierung der Wahrnehmung bewirken.[13] Die Sinnlichkeit selbst, nicht nur ihre Gegenstände, unterliegt durch den Einfluss von Fotografie und Film einer Veränderung. Neben den neuen Bildwelten sollen sich auch die Umwälzungen der modernistischen Architektur, um ein weiteres Beispiel zu nennen, auf die Struktur der Erfahrung selbst auswirken. Die neuen Wohnformen üben den Menschen in andere Umgangsweisen ein (vgl. II, 218). Wenn also diese Neuerfindungen aus „dem ehemaligen Menschen […] gänzlich neue liebenswerte Geschöpfe machen“ (II, 216), dann weil ihm vornehmlich aus der Dingwelt seine Dispositionen und Möglichkeiten erwachsen. Es gibt also auch eine Übersetzungsarbeit der Dinge: Sie bestimmen die menschlichen Handlungsweisen, habitualisieren seine Fähigkeiten und transformieren sie. Es zeugt daher vom Überleben eines metaphysischen Subjektbegriffs, wenn man allein das Übersetzen der Dingsprache in die des Menschen, nicht aber das Übersetzt-Werden des Menschen in jene bedenken will. Eine vergleichbare Position hat in neuerer Zeit Bruno Latour vertreten, der unter dem Begriff der Übersetzung gerade den Transfer zwischen Mensch und Ding verstanden wissen will. Ausgehend von der Überzeugung, dass die neuzeitliche Trennung zwischen Subjekt und Objekt ebenso künstlich wie unhaltbar sei, argumentiert er, dass es ein von den Objekten unberührtes Subjekt nie gegeben habe, dass vielmehr beide symmetrische Handlungsverbünde bilden.[14] In solchen Netzwerken seien menschliche Handlungen für die Dinge ebenso bestimmend, wie sie durch die dinglichen Voraussetzungen beeinflusst werden.[15] Subjekt und Objekt übertragen sich dabei wechselseitig so ineinander, dass eine hybride Sphäre ihrer Untrennbarkeit entsteht. Indem Gegenstände Aktionspotenziale übernehmen und damit zu so genannten Aktanten mutieren, greifen sie in das menschliche Tun ein.[16] Denn als Träger von Handlungsfunktionen können sie diese transformieren, wenn sich ursprüngliche Ziele mit der Übersetzung ins Dingliche verschieben. Wie bei Benjamin kommt den Dingen dabei nicht mehr der Status passiver Objekte zu, sondern sie übersetzen Handlungen und haben damit formierend an diesen selber teil. In der Sprache der Dinge übertragen sich also Handlungsformen, sodass man eine die menschlichen Praktiken bestimmende Wirksamkeit der Dinge in Rechnung stellen muss. Der Mensch vollzieht nicht nur Übersetzungsprozesse, er untersteht ihnen auch. Wenn der Affektion durch die Dingwelt also eine gewisse Passivität aufseiten des Menschen korrespondiert, dann nicht in Gegenüberstellung zur Handlungsfreiheit, sondern als der passive Untergrund der Tätigkeit. Die politische oder auch ethische Dimension der Übersetzung als einem mimetischen Verfahren beruht dann gerade darauf, die Artikulation des Weltbezugs nicht allein der Macht des Menschen zuzuschreiben. [1] Die Argumentation wäre zirkulär, wenn die Voraussetzung menschlicher Sprache ihrerseits durch die allererst zu begründende Struktur repräsentierender Aussagen bedingt wäre. [2] Als eine Skizze zur Klärung der eigenen Gedanken entworfen, war diese 1916 entstandene, nur knapp 20 Seiten umfassende Abhandlung nicht zur Veröffentlichung bestimmt und wurde lediglich an einige Freunde zur Kenntnis gegeben. Die große Bedeutung, die diese frühe Abhandlung für Benjamin selbst hatte, zeigt sich vor allem darin, dass man ihre Spuren in allen seinen späteren sprachphilosophischen Aufsätzen wiederfinden wird, wie u.a. in den Texten „Lehre vom Ähnlichen“ und „Über das mimetische Vermögen“ sowie „Die Aufgabe des Übersetzers“. [3] Die in Klammern angegebenen Zitatbelege beziehen sich auf Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1977 ff.; die römische Ziffer nennt den Band, die arabische die Seite. [4] Diese Bezüge entfaltet Winfried Menninghaus, Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1995. [5] Vgl. Marcel Mauss und Henri Hubert, „Entwurf einer allgemeinen Theorie der Magie“ (1902/03), in: Marcel Mauss, Soziologie und Anthropologie, übers. v. Henning Ritter, Bd. 1, Frankfurt/M.: Fischer 1989, S. 43–179; hier: S. 54. [6] Die These von der Untrennbarkeit von Kraft und Milieu findet sich ebenfalls bei Mauss (ebd., S. 140). Er prägt deshalb den Begriff des magischen Mediums und schließt: „In der Magie, wie in der Religion wie in der Linguistik sind es die unbewußten Ideen, die wirksam sind“ (S. 148). [7] Zur Ansteckung in der Magietheorie vgl. Mauss, S. 99 ff. [8] Damit soll nicht gesagt sein, dass es nicht orale Riten in der Magie gäbe, die im geläufigen Sinne performativ sind. Benjamin allerdings will die Magie der Sprache gerade jenseits des Gesagten, nämlich in der Sprachform situieren. [9] Hierin bezeugt sich die Nähe Benjamins zum Surrealismus, der es zu einer Meisterschaft in der Hervortreibung einer latenten Bedeutungsschicht der Dinge gebracht hat. Ihm attestiert Benjamin die politisch wirksame Fähigkeit, „die gewaltigen Kräfte der ‚Stimmung‘ zur Explosion zu bringen, die in diesen Dingen verborgen sind“ („Der Sürrealismus“, in: Ges. Schriften, Bd. II, S. 295–310, hier: S. 300). [10] Im Folgenden zitiert nach der Einzelausgabe mit einem Nachwort von Theodor W. Adorno, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987, unter der Sigle BK. [11] „Die Gabe, Ähnlichkeiten zu erkennen, ist ja nichts anderes als ein schwaches Überbleibsel des alten Zwangs, ähnlich zu werden und sich zu verhalten“. (BK, 59) Vgl. diesbezüglich auch „Lehre vom Ähnlichen“ sowie die spätere Fassung „Über das mimetische Vermögen“ (in: Ges. Schriften, Bd. II, S. 204–213). [12] Wenn Benjamin in „Über das mimetische Vermögen“ den Begriff einer „unsinnlichen Ähnlichkeit“ (II, 211) einführt, wird auch hier unterstrichen, dass es nicht um vordergründige Übereinstimmungen geht, sondern um eine kaum fassbare Korrespondenz. „Sie huscht vorbei“ (II, 213). Auch sie ist ein Implikat, das im Gesagten zwar aufblitzt, aber nicht zu objektivieren ist. Entsprechend heißt es in der „Lehre vom Ähnlichen“: „Die mit Bewusstsein wahrgenommenen Ähnlichkeiten – z. B. in Gesichtern – sind verglichen mit den unzählig vielen unbewusst oder auch garnicht wahrgenommenen Ähnlichkeiten wie der gewaltige unterseeische Block des Eisbergs im Vergleich zu seiner Spitze, welche man aus dem Wasser ragen sieht“ (II, 205). [13] Vgl. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1977, S. 14: „Die Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich organisiert – das Medium, in dem sie erfolgt – ist nicht nur natürlich sondern auch geschichtlich bedingt.“ [14] Vgl. Bruno Latour, Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Frankfurt/M.: Fischer 1998. [15] Latour gilt als Mitbegründer der so genannten Akteur-Netzwerk-Theorie, vgl. dazu den jüngst erschienenen Sammelband mit den maßgeblichen Texten: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie, hrsg. v. Andréa Belliger u. David J. Krieger, Bielefeld: Transcript 2006. [16] Vgl. Bruno Latour, Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, übers. v. Gustav Roßler, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2000. |
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