02 2007 Freundinnen zur Welt!
Genealogie oder Konstruktion? Birge Krondofer
DAS PERSÖNLICHE IST POLITISCH. Mir ist, als
hätte ich mein feministisches Leben lang versucht, diesen Satz zu realisieren.
Und dass von Anfang an klar war, dass das nicht auf dem Weg des
Selbstbekenntnisses und der Selbstverwirklichung geschehen konnte, so
benachteiligt und minoritär dieses Selbst auch sein mochte.
Denn das Selbst, das bin immer Ich. Und Ich ist niemals
benachteiligt und minoritär, weil ihm jeder Satz in die Hände spielt. Niemals
werde ich mein Erstaunen darüber vergessen, dass ich Ich sein soll. Dass Ich
kein anderer ist und jeder andere für sich Ich ist. (Eva Meyer)[1]
Es ist auch mir gewiss, (...) dass es den Austritt aus der
Gesellschaft nicht gibt und wir uns aneinander prüfen müssen. (...) Im Widerspiel des Unmöglichen mit
dem Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten. (....), dass wir uns
orientieren an einem Ziel, das freilich, wenn wir uns nähern, sich noch einmal
entfernt. (Ingeborg Bachmann)[2]
Das ist
die List der Vernunft zu nennen, dass
sie die Leidenschaften für sich wirken lässt, wobei das, durch was sie sich in
Existenz setzt, einbüßt und Schaden leidet. (...) Das Partikuläre ist meistens
zu gering gegen das Allgemeine, die Individuen werden aufgeopfert und
preisgegeben. (G.W.F. Hegel)[3]
Aus
einer Prospektion, die es sich auch nach fünfundzwanzig Jahren frauenpolitisch
bewegten Zeiten und Räumen nicht nehmen lässt – es aber auch nicht stehlen kann
–, immer wieder den Sinn daran und darin nicht zu verlieren, ergibt sich die
ausrufende Form des Titels wie von selbst; eben weil sie nicht (mehr)
selbst/verständlich ist. War sie’s je?
Mit
einem Satz zu beginnen, der vier Mal „nicht“ sagen muss, um etwas sagen zu
wollen, mag einiges mitteilen zu einer verunsicherten Affirmation: die
Quadratur des Kreises einer entzweiten doppelten Negation gewissermaßen,
indiziert durch vier Motive, die selbst schon in einem gegenstrebigen Gefüge
stehen – und über Kreuz.
Weshalb
ein Wieder-Sprechen von Freundschaft zur und wider die Welt, von Genealogie
wider Konstruktion, von Freundschaft und/oder Genealogie, von Welt und/oder
Konstruktion... benötigt wird? Damit diese Worte und Phänomene, die mit eben
bestimmten Denkweisen verbunden sind, ein Sprechen zur Vergegenwärtigung der
Gegenwart, als Wartung des „Gegen“ sich ereignen lassen, welches das Politische
selbst re-autorisiert. Das wäre ein Begehren.
Hier ist es also um das feministische Politische zu tun. Und damit um die Frage
nach den Frauen in der Welt und ihre Beziehungen zur Welt; nach den Beziehungen
untereinander und danach, dass die Frontkämpfe innerhalb (post-)feministischer
Praxen und Theorien so unvernehmlich sind für die Welt.
Von
Beginn an – der Geschlechtsunterschied als Wertunterschied. Der Mensch, das war
der Mann, das Allgemeine, das Recht, das Subjekt aller Produktion. Die Frauen,
symbolisch getötet, „verstümmelte Männchen“, geschlechtslose Mütter, un- und
unterbezahlt re- und produzierend. Durch die Mühen der feministischen
Genealogien hindurch – Gleichheits-, Differenz-, Dekonstruktions-,
Konstruktionsmaximen –, nie stand eine/s für alle/s; die Paradoxie jeglicher
Dogmen war als Gewaltförmigkeit aller Univers-Alienation von Kapitalis-,
Sexis-, Rassismen porös bewusst. Ein Spiegel: Keine der Suchbewegungen der
letzten Jahrzehnte konnte und kann mit sich selbst so unerbittlich
selbstkritisch umgehen, wie die Frauenbewegung. Weshalb die Rede von der Frauenbewegung eine re-konstruierte
Fiktion darstellt. Es waren der uneinigen Stimmen (eher zu) viele; eine niemals
nie.
Die
eingänglich befreiende Dekonstruktionseuphorie (de-)generierte zu einem
beengenden Destruktionsfuror untereinander, der einander (noch mehr)
entmächtigte. Weshalb wohl ständig jetzt von Gendermainstreaming die Rede ist,
dessen verschleierte disziplinarische Ideologie der Frauenbefreiung den Atem
nimmt. Weshalb umso atemloser nach der Sache von Empowerment gesucht wird – als
Etikettierung eines Verlusts von weiblichen Ausbrüchen aus den männlich
dominierten Konventionalismen und Vergesellschaftungsverhältnissen.
Diese haben sich bislang zumeist nicht angeschickt, sich selbst zu
dechiffrieren. (An dieser Stelle muss dann immer die berühmte Regel mit der
Ausnahme eingespielt werden.) Da bleibt ein Mann ein Mann und sein Denken das
Allgemeine. (Was es gemeinhin auch oft darstellt, denn was einem zugesprochen
wird, ist ihm schwer zu nehmen; bleibt ein Selbstbewusstsein, das den anderen
immer (be)vorsteht.) Denn auch in den berauschenden todernsten Diskursen um
Identitätsauf- und -einlösungen stehen Frauen in erster Reih und Glied.
Durch
die Anathematisierung von Geschlechterdifferenz sowie die anämische
Ausdifferenzierung von Frauen geht die Einsicht in die Hegemonie der
homo-genisierenden globalen Reflexivitäten verloren: Denn das, was wirklich die
Wirklichkeiten auszählt – und zu einer einzigen Wirklichkeit unterschiedslos
verflüssigt – sind die Ströme des Kapitals. Halten da Postfeminismus und
Spätkapitalismus unbeabsichtigt Händchen?
Ist es die List einer postinstrumentellen „Vernunft“, die da ihr Treiben
spielt, wenn der Analyse der Politik die Analyse von Identitäten vorgezogen
wird, also die Liebe zum Selbst bevorzugt wird gegenüber der Liebe zur Welt?
Diese sozusagen induktive Perspektive verstellt den Blick auf Notwendigkeiten
der Bildung von immer vorläufigen Allgemeinheiten und bleibt somit monadisch,
wo doch erst durch kollektive Gefüge das Besondere eine Gestalt bekäme. Das
Neben- und Gegeneinander der Einzelheiten ergibt keine Macht, die zu
Veränderungen führen könnte, sondern schafft individuelle Willkürverhältnisse,
die politische Leidenschaften nach innen binden, statt die Starrsinnigkeiten
aufzugeben und sich zur Welt hin zu öffnen.
„Typisch weiblich“ – möchte man meinen, wäre
nicht diese Fixierung aufs Binnenräumliche durch den Skandal der historischen
Faktizität des Ausschlusses von Frauen aus dem öffentlichen Raum verständlich;
aber destotrotz nicht entschuldbar. Dass Frauen dennoch von daher sich
besonders aufs Moralisieren verstanden und diese „Tugend“ weiterhin Blüten
treibt, erzählt jede Frauenversammlungsgeschichte. Doch dabei ist nicht zu
unterschlagen, dass alle Einengung ins machtlos Kleinräumige die Kräfte nach
innen verzehren lässt.
Verstellt auch durch die Konkurrenz um immer zu kleine Brötchen, was nach wie
vor auf die Pflicht zur Frauenpolitik als Prämisse vor dem Recht auf gender politics verweist, so lange bis
… Ersetzen die eingesetzten hybriden
(lat.: von zweierlei Herkunft/griech.: übersteigert) Diskurse um die wahre
Political Correctness das erstlich und letztlich gemeinsame Begehren nach einer
anderen Zivilität? Und umgekehrt, ist es nicht vielmehr auch so, da wir (und
hier ist das „wir“ nicht zu leugnen) in die Komfortzone des weltlichen
Universums hineingefallen sind, wir uns die geheiligte Subjektivität leisten
können, den Luxus der feinsten Differenzierungen? Jeder ihr Ding, ihr kleines
Absolutes, nur teilbar mit den gleichen Genießenden. So wird die Wahrnehmung
der Anderen zur Signatur der eigenen Unvollständigkeit, die es durch
fortgesetzte Anrufung von Ressentiments zu kompensieren gilt.
Wie tun
mit den unzählbaren Artikulationen von Partikularitäten und dem
unabschließbaren Begehren nach Partizipation am „Allen“, dem mit sich selbst
Identischen, wo doch Nicht-Identität bestehen muss als notwendige Unaufhebbarkeit
von Sein und Werden (außer im Tod), will nicht die erstrebte Ganzheit
psychotisch und damit totalitär werden. Nur in der geschlossenen Institution
und in der ideologischen Immanenz des Kapitals sind alle gleich. Als
Partizipierende (dt.: von etwas, was ein anderer hat, etwas abbekommen) an
diesem partikulären Universalismus sind wir in der Gesamtsummenspielbilanz die
bevorzugten Vergleichbaren.
Doch wie
die Unvereinbarkeiten klären zwischen jenen, die sich als Geborene verstehend
dieser herkünftigen Abhängigkeit bewusst sind und diesen, die sich als
Versehrte in verkehrter Einkörperung empfinden und an ihre hinkünftige
Selbstautorisierung glauben? Die anderen, die sich zur vorgefundenen Welt
anerkennend in Beziehung setzen und sie als diese transformieren wollen; und
die einen, die das Ich neu konstruieren wollen – das westliche
Machbarkeitsparadigma als solches akzeptierend. Bloß zwei Seiten einer Medaille
von unhaltbaren Situationen, in welchen wir existieren?
So möchte ausgerufen werden: ‘oh Feindinnen,
es gibt keine Feindin’!
Weil der (geachtete) Feind, das ist der (geächtete) Bruder.
Und so sind wir alle in guter Gesellschaft. Von ‘Freunden’. (?)
Selbst wenn über den Topos ‘oh Freunde, es gibt
keine Freunde’ schon viel Geistreiches versprüht wurde, so
gilt in der abendländischen Philosophiegeschichte der Freund als eine auch
politische Figur der zwischenmännlichen Achtung von derer Seele und Verstand,
während Frauen keine Freunde sein können, weil sie nur in der Unzulänglichkeit
der leiblichen Person betrachtet wurden.
So kann die Stimme des Freundes niemals die Stimme der
Freundin sein. Und die Sprache der Freundin nicht diejenige des Freundes.
Sollten wir stattdessen ausrufen: ‘oh Freundinnen, es gibt sie, die
Freundinnen!’?
Denn: In
der Verfassung der Organisationsverträglichkeiten sind Freunde und Freundinnen
nicht in derselben Verfasstheit. Dies gilt es zu bedenken, um jegliches Handeln
als nur bedingtes Begehren in unterschiedlichen Bezügen zu begreifen, jedoch in
der einen Welt, deren Existenz sich der Verschiedenen verdankt. Noch. Denn
Identität als Begriff von Identität und Nichtidentität, entschlägt sich heute
des Nichtidentischen – zur Behauptung unteilbarer Singularität. Dies tritt als
der paradoxe Effekt einer postfordistischen, universellen
Vereinheitlichungsmaschinerie in Erscheinung, die jede Differenz nivelliert, um
sie dann als zähl- und zahlbares Produkt anzupreisen. Im Artefakt verschwindet
Verschiedenheit in actu und zum
Inbegriff des Selbstgehalts am Umschlagplatz von Herkommen und Abkommen wird
die Distinktion, das scheinbar individuelle Selektieren (dt.: Aussondern).
Im
Unterschied zur Wahl. Im Unterschied dazu, es zu tragen, „als diese gewählt
(worden zu) sein“ und dennoch als diese wählen zu können. Dass die Welt radikal
diesseitig ist, bedeutet, die Wahl zu haben. Es heißt aber auch, dass wir dies
nur als Geschöpfte können, was bedeutet, dass wir immer schon im
Vorausgesetzten in Existenz und damit in Erscheinung treten – also Abhängige,
Von-woher-Kommende sind.
Derart Unaushaltbares wurde mit einer jenseitigen (phallischen) Göttlichkeit
gelöst, weil sie von den Mutter-Geborenen erlöst. Wenn es ein immaterielles
Außen gibt, gerinnt das materielle Innen zum Unterlegenen: Was Wunder, dass es der Monotheismus war, der dieses Innen –
zumindest „ideologisch“ – als nebensächlich statuierte. So gesehen wäre die
Welt „weiblich“ geworden, ist sie doch im schmutzigen Geschäft des immanent
gewordenen Raums versunken. Gleichzeitig haben wir Transzendenzen verloren –
als die Möglichkeit der Überschreitung von s/ich und von einem System, das
nichts mehr außerhalb von sich zulässt.
Also wo wäre da noch eine Wahl? Ohne sich verlieren zu müssen – oder selbst zu
schöpfen, damit man sich noch hat –, und einen Weltort, jenseits der Gehälter, noch
halten können, um sich nicht zu verlaufen. Denn Selbstverlassenheiten werden
durch die De-archivierung unseres Gedächtnisses inzwischen technisch erreicht;
Gene statt Meme wäre das zeitdiagnostisch treffende Label dafür. Wer auf die
(decodierte) Natur sich beruft, hat immer eine Entschuldigung parat und ist
keiner Erklärung mehr bedürftig. Andererseits kann man sich optional selbst
rekodieren zur Herstellung eines optimalen Selbst. Die Selbsttechnologisierung
stellt heute den Standard der selektierbaren, so genannten Selbstverantwortung
dar, die keine Unsicherheiten offen lassen will, weil diese unbezahlbar wären.
„Rauchen ist tödlich“, ist da noch ein geringstes dieser Übel eines
proponierten Fremd- als Selbstverschuldens der Selbstopferungen auf den Altären
der Aktionäre und Versicherungen.
Was könnte eine Wahl sein, wo alles zur Wahl steht und es somit keine mehr
gibt? Wer wählen will, braucht Alternativen/Alteritäten, also Grenzen, denn
ohne diese kann es keine geistige Vorstellungskompetenz geben, keine
(Ent-)Scheidungsbefähigung, die doch die Voraussetzung für politisches
Urteilsvermögen ist.
Frauen hätten so, da in den funktionalen Weltstrukturen nicht in der gleichen
„brüderlichen“ Formation eingebunden, die Möglichkeit und den Auftrag, die
ethische Blindheit des Systems zu ent-decken. Hierzu bedarf es der Gabe sich
als Verschiedene und trotzdem gemeinsam zu (ent-)setzen. Wir brauchen Kontraste
wie Vertrautheit und Fremdheit, um unsere Identität mit Nahen und Fernen (also
Unterschiedenen) gestalten zu können; ist doch Identität Ausdruck geronnener
Konflikte, mit unterschiedlichen Identifikationsarchäologien, die nicht zu
wechseln sind wie Münzen. Somit wäre die Imagination von
(Geschlechts-)identität als Konstruktion eine
von vielen Weisen, mit der Spaltung des Subjekts, also mit der Zerrissenheit
zwischen Körper-Seele-Anderen-Welt umzugehen – eine Habitualität unter anderen
Verzehrungen und Verzerrungen, um den Riss von Mangel und Fülle zu bewältigen.
Und um diese Begrenztheiten ex-akt zu verstehen – und nicht bloß mit
Entdifferenzierungsphantasmen, die Ausbund abendländisch-kapitaler
Provinzialität sind, zu spekulieren –, bedarf es der Differenzierung
der/unserer individuellen und vergesellschafteten Lebensweisen (und all ihrer
Vermittlungsarten, wie Arbeitsorganisation, Wissensterrains, Liebesstile usw.).
Klassische politische Theorie hat die Person unterschieden in die aneignende
Subjektivität und die formelle Bürgerschaft, in private und öffentliche Sphären
des Handelns; diese wären um die politische und die intime Dimension erweitert
zu bedenken. Feministische Selbstreflexion wie öffentlich zu etablierende
Kritik könnte, wenn sie sich nicht nur als additive Lustbarkeit unter anderem
sieht, da vorbildlich sein, gibt es doch die Erfahrungen mit Entbindung und
Verbindung. Zur Erinnerung: Die Frauenbewegung hat den gewaltförmigen
Zusammenhang von Persönlichem und Politischem der privatisierten Gewalt
aufgedeckt, angeklagt und in die dazu gehörende Öffentlichkeit getragen. Doch
hat die über die Zeit fixierte Untrennbarkeit zwischen den Sphären auch zu
verstörenden Verwechslungen untereinander geführt, wurden doch politische
Haltungen identifiziert mit der Person selbst. Bis hin zu finsterem Schweigen,
was noch eine umgänglichere Form als „noch-nicht-einmal-ignorieren“ darstellt.
Ausgesprochene Kritik zu vernehmen als symbolische Vernichtung ist letztlich
unannehmbar – und geschieht. (Doch eine politische Gefährtin muss nicht eine
private Freundin sein, eine intime keine öffentliche...).
Welche Formen nun welche Inhalte spiegeln – ohne dass diese mit jenen identisch
sind –, die ihrerseits Gefühle symbolisieren und Entwürfe aufspannen, lässt
sich freundlich auf (dem) Grund dialektischer Verwobenheiten denken, deren
jeweilige Potenzialität mit der Bedingtheit unseres Gewordenseins korreliert:
Das Begehren, auch das politische, entsteht und besteht aus dem Relativum und
der Relation von Entsprechung und Entsagung. Das, was am meisten fehlt, sind
Gesten der Verbindung, sind Anrufungen wider die Zerteilung in ein- und
ausgeschlossene Welten, sind artikulierte Ablehnungen von selbstgenügsamer
Apathie gegenüber der eigenen und der nächsten süffisanten Einpanzerung gegen
das Elend der anderen Anderen.
Das Gerede von Sachzwängen, die Dominanz technisch versierter Verfahrensregulationen,
der autonomisierte Geldmaßstab - all dies droht alle anderen
Wirklichkeiten zu ersetzen.
Erst das (An-)Erkennen von Unterschieden lässt uns zu politisch Handelnden
werden dann, wenn Macht durch ein gemeinsames Gewebe zustande kommt, und es
dadurch ermöglicht wird, die eigenen Widersprüche zu Zeiträumen des Widerstands
gegen geglättete Realismen zu transformieren.
Eine
hierin konkrete politisch-feministische Figur – um den Anfang dieser
Reflexionsschleifen wieder aufzunehmen – ist nicht als Spielerin von
performativen Inszenierungen zu denken, sondern als Person des Begehrens nach
(dauernden) Gestaltungen. Ein weibliches Verständnis von politischer
Kollektivität verausgabt sich ja nicht mehr in neurotisierenden
Schwesternschaften; dies war ein bitterer Weg vom anfangs notwendigen
quasifamiliären Schutz gegen das noch fremde außerhäusliche Terrain. Es sollte
sich weiterhin auch nicht reduzieren auf die narzisstische Ansammlung prekärer
Identitäten, denn diese Spiegelung löscht Andere/s weg. Es kann sich ebenso
nicht erschöpfen in sexualisierten Kostümen, deren schillerndes Surplus nicht
zufällig Akklamationen in medialisierten Öffentlichkeiten erheischen.
Wie der Flüchtigkeit eine Gestalt verleihen, den Flüchtenden eine Souveränität
schenken?
Die
Freundin, als Zwischengängerin innerer und äußerer Verhältnisse, könnte das
Paradoxe an/von/in Frauenpolitiken „lösen“:
Gedacht entlang der Achse des genealogischen Denkens des Anfangs, von dem eine
(präpolitisch) herkommt, um aus Ähnlichkeit und Differenz initiativ zu werden,
also sich und andere Frauen autorisiert, politische Sinnzusammenhänge zu
knüpfen und auf einander und die Welt zu beziehen.
Gedacht entlang der Achse eines Terminus von „Freundschaft“, der sich nicht auf
Gleichheit/Ähnlichkeit, sondern auf Andersheit beruft, auf die Möglichkeit der
Wahl. Einer Wahl, die vorm Zerbrechen nicht gefeit ist, die immer wieder
errungen werden will, da sie keiner Selbstverständlichkeit obliegt.
Gedacht entlang der Achse dieses Aufeinanderbezogenseins durch Interesse an
einem gemeinsamen Dritten, einem weltlichen Bezug. Diese Dimension der
Frauenfreundschaft scheint die schwierigste, da wir eingewohnt sind, uns zu
beziehen auf die (serielle) „Busenfreundin“, wo ein Drittes keinen Platz
findet.
Gedacht entlang der Achse, die als politische (und das hat die Überschreitung
der zwei zur Voraussetzung) unangenehmer wie unnachahmlicher
Verständigungsprozesse bedarf, also des Aushaltens von Unterschieden.
Gedacht
entlang der Achse dieser gewährenden Perspektive. Die gegenseitige Wahrung von
Hören und Sprechen wäre geneigte Zelebration im Offenen der Welt, ohne durch
emotionale Versumpfung oder mentale Gerichtsbarkeiten in Rückzugsgefechte zu
geraten.
Gedacht entlang der Achse der Überwindung von Kleinkrämerei: Die hat, aber
nicht gibt; die weiß, aber nicht tut; die vorwirft, aber nicht abwirft; die
einschlägt aber nicht vorschlägt; die will, aber nicht wünscht.
Gedacht entlang der Achse des Gegen-seitigen; einer Annahme der Gastlichkeit
des Verstehens und Verzeihens; einer Annahme des generativen oder
situationsbedingten Mehrwissens und Wenigerkönnens und umgekehrt – ohne Macht-
und Ohnmachtgesetzlichkeiten gefügig zu sein.
Dadurch
würde die Welt wieder geöffnet: in einer bisher unmöglichen Konfiguration – der
Anerkennungen von Frauen und der politischen Freundinnenschaft.
Kein Textgewebe entsteht ohne
Hintergrundfäden:
Theodor
W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen
aus dem beschädigten Leben, Frankurt/Main: Suhrkamp 1980.
Hannah
Arendt, Vita activa oder Vom tätigen
Leben, München, Zürich: Piper 1989.
Simone
de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte
und Sexus der Frau, Hamburg: Rohwolt 1979.
Jacques
Derrida, Politik der Freundschaft,
Frankfurt/Main: Suhrkamp 2000.
Andrea
Günter, Politische Theorie und sexuelle
Differenz, Königstein: Ulrike Helmer 1998.
Peter
Heintel, „Götterdämmerung. Vom Ende der Machbarkeit“, in:
Ralf
Grossmann u.a. (Hg.), Veränderung in
Organisationen - Management und Beratung, Wiesbaden: Gabler-Verlag 1995.
Jean-Luc
Nancy, „Der Sinn des Politischen“, in: Wolfgang Pircher (Hg.) Gegen den Ausnahmezustand. Zur Kritik an
Carl Schmitt, Wien/New York: Springer 1999.
Christina
Thürmer-Rohr, „Anfreundung mit der Welt. Jenseits des Brüderlichkeitsprinzips“,
in: Heike Kahlert/Claudia Lenz (Hg.), Die
Neubestimmung des Politischen, Königstein: Ulrike Helmer 2001.
Gerburg
Treusch-Dieter, „Frauen gemeinsam sind stark - aber was stärkt Frauen?“, in: AEP, 1/2007 (Erstveröffentlichung in:
Stadt Freiburg i.Br. (Hg.), Kongressdokumentation ‚FrauenMachtZukunft’ 2002)
Slavoj
Zizek, „Genieße Deine Nation wie Dich selbst!“, in: Joseph Vogl (Hg.): Gemeinschaften. Positionen zu einer
Philosophie des Politischen, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1994.
[1]
Eva Meyer, Tischgesellschaft, Basel,
Frankfurt/Main: Stroemfeld/Nexus 1995, S. 25.
[3]
G.W.F.
Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Bd.12
(1832-45), Frankfurt/Main: Suhrkamp 1970, S. 46.
|
Birge Krondorfer
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