30 08 08 Neuzusammensetzung und Bewegung
Die Frage nach dem Modus der Zusammensetzung und seinem Konnex zur Bewegung zu stellen, bedeutet für mich, sie auf die spezifische soziale Zusammensetzung und Neuzusammensetzung von sozialen Bewegungen zu fokussieren. Damit möchte ich soziale Zusammensetzung entgegen jeder empirischen Festlegung von „Klassenlagen“ explizit nicht als Zustand, sondern als Bewegung beschreiben. Und ich will damit schließlich auf eine spezifische Form der Zusammensetzung hinaus, die Begriffe nicht nur des Staatsapparats, sondern auch der Gemeinschaft flieht, umgeht, verrät. Zunächst sei hier ein Motiv wieder aufgenommen, das in einer Kontinuität der Begriffe für die Zusammensetzung liegt: die Maschine – und das ist die gängige neuzeitliche Vorstellung, auch die Wolffs – als compositio, als (künstliche, listige) Zusammenstellung von Teilen, die nicht zwingend zueinander gehören, zugleich aber auch die Maschine nach der antiken Definition von Vitruv als continens e materia coniunctio, also als Kontinuum und Verkettung, als Gefüge, in dem die Teile weder als vorgängig voneinander isoliert noch als in einer Einheit ihrer Singularität beraubt vorgestellt werden. Was beide Vorstellungen der Maschine in unserem Kontext nahelegen, ist die Konzeptualisierung als Gefäß, das nach innen nicht gerastert, nach außen offen und auf Kommunikation angelegt ist. Die Kommunikation der Maschinen und Maschinenkomponenten, der Singularitäten, der Monaden erscheint also nicht wie bei Leibniz durch Gott garantiert oder durch eine andere Universalie, sondern als Verkettung der Singularitäten, als zutiefst polyphone, ja a-harmonische Kom-position ohne KomponistIn. Eine soziale Zusammensetzung dieser Art setzt sich gegen den Staatsapparat als rasterndes Gefäß, ebenso wie gegen Konzepte der Gemeinschaft als eines natürlichen Körpers und nach außen sich als Identität und Totalität abgrenzender Einheit. Diese zwei großen Klassifizierungsmuster sind es, wovon sich die Maschine als soziale Bewegung absetzt: vom Staat und von der Gemeinschaft. Die Suche gilt also einer formlosen Form der politischen Verkettung von Singularitäten, die sich nicht in der Form des Staatsapparats und deren Komponenten der Stratifizierung und Aufteilung des Raums strukturalisiert, die sich zugleich nicht in dem großen, alles einschmelzenden Einschluss der Gemeinschaft verschließt. Die Maschine setzt sich gegen die „künstliche“ Staatsform und die Rasterung ihres Inneren, damit übrigens auch gegen die absolutistische Metapher der „Staatsmaschine“, und gegen die „natürliche“ Form der Gemeinschaften – und dieser scheinbare Dualismus von „künstlich“ und „natürlich“ kann hier nur unter Anführungszeichen stehen, für zwei verschiedene Modi der Formierung und Klassifizierung: den Modus der „künstlichen“ Rasterung und den Modus der „natürlichen“ Umschließung und Totalisierung eines als absolut gesetzten Inneren. Eine solche durch Naturalisierung und Inkorporation konstruierte Figur betrifft nun nicht nur die historischen Fälle kirchlicher Urgemeinschaft oder faschistischer Volksgemeinschaft, und auch die Kritik an den zeitgenössischen rechten Kommunitarismen greift hier zu kurz. Es steht zu befürchten, dass selbst hinter dem noch so feinsinnigen Diskurs der herausgeforderten, undarstellbaren, uneingestehbaren, entwerkten, messianischen oder kommenden Gemeinschaft letztlich ein Identifikationsprozess, ein Begehren nach kollektiver Identität ohne Bruch, ohne Einschnitt und ohne Außen steckt. In diesen Lesarten der Gemeinschaft lassen sich über die alten Probleme von Kommunitarismen hinaus und zur sozialen Unterwerfung der Subjekte durch Staatsapparate hinzu noch neue Formen der maschinischen Indienstnahme ausmachen. Im Dienste der gemeinschaftlichen Einheit verweben sich Steuerung und Selbststeuerung als Subjektivierungsweisen zu einem neuen Dispositiv. Gegen diese Verschränkung von Regierung und Selbstregierung, von sozialer Unterwerfung und maschinischer Indienstnahme und zur Vertiefung der antistaatlichen und antikommunitären Qualität der maschinischen Verkettung möchte ich einen kurzen Umweg zum frühen Jacques Tati einschlagen. In der Filmkritik werden Tatis Arbeiten häufig als zivilisationskritische Anklage gegen die Zumutungen der Moderne missverstanden. Vor allem Tatis erster größerer Film La jour de fête ist aufgrund seines idyllischen Rahmens (und erst recht durch seine lächerlichen Synchronisationen) derart (falsch) gedeutet worden. In der Abfolge von L’ecole des facteurs (1947) und La jour de fête (1949), in das fast alle Szenen der „Schule der Briefträger“ aufgenommen wurden, zeigt sich jedoch, dass Tatis erster Langfilm ganz und gar nicht als eine Hymne auf die Rückkehr zum dörflichen Landleben durchgehen kann. Die kaum fünfzehn Minuten lange Sketch-Reihe L’ecole des facteurs ist mehr als eine Vorstudie, bei dem kleinen Film zeigt sich deutlicher die Spitze, auf die Tati hinaus will. Als pure Parodie auf die militärische Zucht der Briefträger und auf die Rasterung und Rationalisierung nicht nur ihres Arbeitstags, sondern jedes kleinen Bewegungsablaufes im fordistischen Rahmen der Arbeit glänzt die „Schule der Briefräger“ durch Mini-Attraktionen, die dieses Regime durchkreuzen. Diese für Tati typischen, extrem-körperlichen Kunststücke vor allem auf dem Fahrrad reihen sich in L’ecole des facteurs in schneller Abfolge aneinander; in La jour de fête erscheinen sie ein bisschen verdeckt von den vielen Details des Dorflebens und dem scheinbar beschaulichen Rahmen der Handlung. Der erste selbst geschriebene und inszenierte Langfilm Tatis beginnt und endet zwar an der Oberfläche ganz spießig-idyllisch, entwickelt seine Stärke jedoch als Burleske, die aus heutiger Perspektive weniger antimodern/anti-fordistisch als proto-postfordistisch wirkt. Während eines Schützenfestes zeigen die Schausteller eine Wochenschau über die neuesten Modernisierungsmethoden des Postwesens in den Vereinigten Staaten. Sortiermaschine, Luftpost und Posthelikopter sorgen für die optimale Umsetzung des tayloristischen Mottos „Time is Money“. Durchmischt mit Bildern von waghalsigen Motorrad-Stunts erweisen sich die amerikanischen Postboten als Pioniere der Moderne. Der von Jacques Tati selbst gespielte Land-Postbote François sieht diese Bilder und ist vom neuen Zeitgeist beseelt. Von nun an lautet sein Motto „rapidité – Schnelligkeit!“, obsessiv will er seinen simplen Job modernisieren. Vollends prophetisch gerät La Jour de fête in den Szenen, in denen François getriggert durch die abstrakte Maschine des Wochenschau-Films die Beschaulichkeit seiner dörflichen Gemeinschaft durchbricht und die Arbeitsteilung des postalischen Staatsapparats implodieren lässt. Schon am gleichen Abend lässt Tati seinen Protagonisten (also sich selbst), berauscht vom Fest, vom Alkohol und von der einsetzenden Wirkung der Bilder über die Möglichkeiten der modernen Post, sich in unglaublichen Tricks mit seinem Fahrrad zu einer Maschine verschmelzen. Am neuen Tag mutiert er zum „Monsieur Postman“, das Motto rapidité! wird dabei zu einer Komponente des Vorscheins postfordistischer Produktionsweisen. François fährt immer schneller und virtuoser, er fährt die Figuren der amerikanischen Motorrad-Stunts mit dem Fahrrad nach, er fährt durch’s Feuer, bringt die Ordnung des Verkehrs durcheinander und rollt mehrmals im Spurt das gesamte Feld eines Radrennens auf. Sein Fahrrad fährt schließlich von allein, reißt aus der fordistischen Zwangsgemeinschaft aus und wartet dann lässig an die Wand gelehnt am Wirtshaus auf seinen ihm nachlaufenden Teilhaber. Ein Motiv, das an den Dritten Polizisten erinnert, auch dort entlaufen Fahrräder gerne, wenn sie nicht angebunden, gefesselt oder eingesperrt werden … Schließlich packt sich Monsieur Postman im Postamt sämtliche notwendigen Utensilien ein, um selbst Post zu werden. Er entflieht nicht nur dem dörflichen Gemeinschaftszusammenhang und der rigiden Ordnung der Post, nein, seine rasende Flucht aus Gemeinschaft und Staatsapparat ist zugleich Erfindung: die Erfindung eines neuen Büros in der Bewegung. Die ständige Beschleunigung von Bewegung und Arbeit auf die Spitze treibend, hängt sich der Fahrradakrobat an einen offenen Lastwagen an, breitet auf dessen nach hinten geklappter Planke Briefe, Marken, Stempel aus und eröffnet sein mobiles Fahrrad-Postbüro. Als Selbstunternehmer wird er selbst Post – ähnlich übrigens der monomanischen Produktionsmaschine Tati, die gegen die extreme Funktionsteilung des Genres Film ankämpft. Gegen Ende landet der geschwindigkeitstrunkene Francois zwar mit seinem Fahrrad im Fluss und wird von der schwer gebeugten Alten, die mit ihrer Ziege als Allegorie des Landlebens durch den ganzen Film mäandert, in Sicherheit, nämlich zur Landarbeit gebracht, doch der idyllische Schluss ist trügerisch: In der letzten Einstellung läuft ein kleiner Junge in Postler-Uniform dem weiter ziehenden Schausteller-Wagen nach, das rapidité-Virus verbreitet sich in die Welt. 30 Jahre später bricht die Seuche in ganz Europa aus. Monsieur Postman lebt eine mögliche Form des Widerstands: Gegen die neuen Formen atomisierender Individualisierung nützt keine Rückkehr zur Gemeinschaft, wie überhaupt die Dichotomie von Individuum und Gemeinschaft nicht relevant ist in diesem Dispositiv. Jacques Tati schlägt dagegen eine offensive Strategie der beschleunigten Singularisierung vor. Doch was sind die Maschinen, in denen diese Singularitäten sich verketten können, statt in die identitären Gefäße der Gemeinschaft gesteckt und von den Staatsapparaten gerastert zu werden? Welcher Art ist das neue, unbändige Band, das sich nicht als homogenisierender Zusammenhalt, sondern als Verkettung aktualisiert, „verbunden durch das Fehlen eines Bands“? Es gibt bei Marx allerdings zwei Figuren, die nicht einmal dem unbewussten Status der „Klasse an sich“ entsprechen, und diese Figuren haben einiges gemeinsam mit dem gegenwärtigen Prekariat, sowohl mit den oben beschriebenen Konstrukt des „abgehängten Prekariats“, als auch mit einer möglichen prekären Potenz, auf die noch zurückzukommen sein wird. Klassisches Beispiel für den Zustand der Trennung in seiner extremen Form, die nicht einmal als „Klasse an sich“ gelten kann, damit auch für die Unmöglichkeit von eingreifendem Handeln und gemeinsamem Kampf, ist das der französischen Parzellenbauern. Marx schreibt 1852 im „Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte“: „Die Parzellenbauern bilden eine ungeheure Masse, deren Glieder in gleicher Situation leben, aber ohne in mannigfache Beziehung zueinander zu treten. Ihre Produktionsweise isoliert sie voneinander, statt sie in wechselseitigen Verkehr zu bringen. Die Isolierung wird gefördert durch die schlechten französischen Kommunikationsmittel und die Armut der Bauern.“ (MEW 8, 198) Die Parzelle ist das Paradigma der Isolation. In der Situation räumlicher Trennung bewerkstelligen die Bauern gerade noch den notwendigen, alltäglichen Austausch mit der Natur, nicht aber einen „Verkehr mit der Gesellschaft“. Der Begriff des Verkehrs, den Marx übrigens mit seinem damaligen individualanarchistischen Kontrahenten Max Stirner teilt, meint nun mehr als eine gemeinsame empirische Klassengrundlage. Die beliebige Addition ähnlicher, aber in keiner Weise zusammenhängender oder kommunizierender Einheiten, in Marxens Bild die vielen Kartoffeln in einem Kartoffelsack, macht noch keinen Zusammenschluss, keine politische Organisation aus. Unter der radikalpopulistischen Regierung des „zweiten Napoleon“ Louis Bonaparte sind die Parzellenbauern im Gegenteil zur Vereinzelung und Zerstreuung, zur Unmöglichkeit des Verkehrs und – was Marx auch explizit hervorhebt – zur Unfähigkeit ihrer eigenen Vertretung verdammt. Ihre Existenz- und Produktionsweise, die auf der radikalen Aufteilung des Raums und der Isolation der Körper beruht, verunmöglicht jede Praxis des Austausches, des Verkehrs. Die Beziehungs- und Kommunikationslosigkeit der Parzellenbauern, ihre extreme Zerstreuung entbehrt aus der Perspektive des spezifischen ML-Jargons schon der Vorbedingung, dass sie zur „Klasse für sich“ werden könnten. Die Parzellenbauern sind nicht einmal „Klasse an sich“, können sich der gemeinsamen Lage nicht bewusst werden und allgemeine Strategien entwickeln, die über lokale Auseinandersetzungen hinausgehen. Es fehlt ihnen die Potenzialität der „Klasse an sich“, also von Menschen, deren ökonomische Bedingungen sie als Klasse ausweisen, die aber aufgrund ihrer Lebensverhältnisse noch keine Gemeinsamkeiten, keine Organisation begründet haben. Marx hat allerdings noch eine zweite Figur des unorganisierbaren Außen zu bieten: das Lumpenproletariat. Hier hat es den Anschein, als würde überall dort, wo sich Marx’ Begriff vom Proletariat identitätslogisch verfestigt, auch dieses Außen, das Lumpenproletariat, und seine schroffe Abgetrenntheit von allem, was sich organisiert, durch eine teils positivistische, teils moralisierende Beschreibung fest- und stillgelegt. Die problematischen Seiten einer derartigen Festlegung lassen sich einerseits in den identitätslogischen Vorstellungen im wissenschaftlichen Marxismus erkennen, die eine klar umgrenzte Gruppe von Menschen als Proletariat identifizieren und klassifizieren, andererseits in der kanonisierten Figur der Diktatur des Proletariats. Das Lumpenproletariat wird aus dieser Sicht eine Mischung aus letztem Überbleibsel einer prä-industriellen Zeit und einer aktuellen, aber vorübergehenden Zeiterscheinung der industrialisierten Stadt. „Neben zerrütteten Roués mit zweideutigen Subsistenzmitteln und von zweideutiger Herkunft, neben verkommenen und abenteuernden Ablegern der Bourgeoisie Vagabunden, entlassene Soldaten, entlassene Zuchthaussträflinge, entlaufene Galeerensklaven, Gauner, Gaukler, Lazzaroni, Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Maquereaus, Bordellhalter, Lastträger, Literaten, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker, Bettler, kurz, die ganze unbestimmte, aufgelöste, hin- und hergeworfene Masse, die die Franzosen la bohème nennen […]“ (MEW 8, 160f.) Während die Parzellenbauern aufgrund ihrer empirischen Situation im Zustand der Nicht-Klasse verweilen müssen, moralisiert Marx im „Achtzehnten Brumaire“ das Lumpenproletariat zum „Auswurf, Abfall, Abhub aller Klassen“. Und die Konstante, Verbindung und angemaßte Vertretung beider als absolutes Außen konstruierten Bevölkerungssektoren, die sich nicht organisieren können oder wollen, erweist sich paradoxerweise als Spitze des Staates: Louis Bonaparte ist und konstituiert sich als Chef des Lumpenproletariats und der Parzellenbauern. Einigermaßen überraschender Weise zählt Marx neben den oben angeführten Kategorien von arbeitsscheuen konterrevolutionären Subjekten (als Pendant zum „abgehängten Prekariat“) in den „Klassenkämpfen in Frankreich“ auch die Finanzaristokratie (vielleicht als Pendant zur „digitalen Bohème“) zum Lumpenproletariat: „Die Finanzaristokratie, in ihrer Erwerbsweise wie in ihren Genüssen, ist nichts als die Wiedergeburt des Lumpenproletariats auf den Höhen der bürgerlichen Gesellschaft.“ (MEW 7, 15) Es existiert also schon mit dieser Heterogenisierung des Lumpenproletariats ein sich durch die Gesellschaft ziehendes Bild des Außen, das nicht mit einer „Unterschicht“ gleich gesetzt werden kann. Marx’ Vorwurf der Unproduktivität dieses diffusen Lumpenproletariats kann als eine Vorform jener Konstruktion des abgehängten Prekariats gesehen werden, als Unterstellung des absichtsvollen Selbstausschlusses, der Selbstausgrenzung und Selbstmarginalisierung, und zweifelsohne wirft die Kombination der vom Verkehr ausgeschlossenen Parzellenbauern und des organisierungsunwilligen Lumpenproletariats aufs erste nicht sehr viel Licht auf die Frage der sozialen Zusammensetzung. Es können hier aber auch die Möglichkeitsbedingungen des Prekariats als offensiver Figur der Verkettung erkannt werden, als weitläufiger Nachfolger eines diffusen Lumpenproletariats auf der Grundlage der allgemeinen Parzellierung von Arbeit und Leben. Im klassisch marxistisch-leninistischen Schema muss der schlafende Riese Proletariat, anders als die abenteuerlichen Lumpen und die isolierten Sklaven der Parzelle, nur erst erwachen, durch Klassenbewusstsein und Partei aufgeweckt werden. Er korreliert also dem Zustand der „Klasse an sich“ und muss lediglich durch die richtige Form der Organisierung erst zu sich kommen, „für sich“ werden. Der Proletarier als Mitglied der untersten Klasse, die dem antiken römischen Staat nur dadurch dient, Nachkommen (proles) zu liefern, aus marxistischer Sicht der Lohnarbeiter ohne Besitz an Produktionsmitteln, impliziert Homogenität in vielerlei Hinsicht. Schon diese Figur des Lohnarbeiters repräsentiert eine normalisierte Dominante, umso mehr die proletarische „Klasse für sich“, die durch die spezifischen Organisierungsformen von Gewerkschaften und Massenparteien entsteht und die vor allem nur als einheitliche Klasse den Kampf gegen die herrschende Klasse aufnehmen kann. Auch wenn der begriffliche Anklang zum Proletariat es nahe legt, das Prekariat als Bewegung und Organisierung der zerstreuten Prekären ist dagegen in der Hinsicht der Zerstreuung der AkteurInnen eher analog zu den Parzellenbauern, in der Hinsicht der breiten sozialen Lage analog zur Figur des Lumpenproletariats zu verstehen. Gegen das Bild des schlafenden Riesen Proletariat, der durch Klassenbewusstsein und Partei aufgeweckt werden muss, ist das Prekariat ein Monster, das Schlaf nicht kennt. Hier gibt es keine teleologische Bewegung vom schlafenden zum Klassenbewusstsein; weder die Empirie der Klasse an sich noch die politische Anrufung einer Klasse für sich, sondern ein stetiges Werden, Fragen, Kämpfen. Das Prekariat kann weder als wie immer empirisch festgelegtes Problem noch als zukünftiges Erlösungsmodell herhalten. Es ist auch keineswegs nur der andere Pol der Prekarität, analog etwa zur „Klasse für sich“ in ihrem Verhältnis zur „Klasse an sich“. Die Figur der Prekären verweist auf Zerstreuung, Zerbrechlichkeit, Vielheit. Das Prekariat stellt keine einheitliche, homogene oder gar ontologische Formation dar, es ist auf viele Herde verteilt und zerstreut, nicht nur aus Schwäche oder Unvermögen, sondern auch als Diskontinuität von Geografie und Produktion, als Verteilung im Raum. Welche Form auch immer die Verkettung des Prekariats annimmt, welche (Selbst-)Organisationsformen es entwickelt, der Begriff selbst weist darauf hin, dass es in seinen Kooperationsweisen nicht in die Vereinheitlichung und Strukturalisierung zurückfällt. Wenn das Prekariat überhaupt irgendetwas ist, dann ist es selbst prekär. Wollen wir diese etymologische Linie für unsere Fragen nach dem maschinischen Modus der sozialen Zusammensetzung und der Verkettung fruchtbar machen, so werden wir diese Macht nicht als Synonym für Herrschaft verstehen, sondern zunächst – Foucault folgend – als Kräfteverhältnis. In diesem Sinn ist die Maschine also kein Mittel eines mächtigen Subjekts, das dadurch seinen Stoffwechsel mit der Natur bewerkstelligt, sondern ein differenzielles Verhältnis, ein Gefüge, das Anstöße zu spezifischen Subjektivierungsweisen gibt. Vor allem ist Macht hier aber auch vor jeder Stratifizierung, Vereinnahmung und Instrumentalisierung dem Verständnis Spinozas folgend als Potenz, Vermögen, Möglichkeit zu verstehen. Diese Macht, dieses Vermögen ist die Macht der abstrakten Maschinen. In der Begriffskonstellation des Mächtig-Möglich-Maschinischen und der Abstraktion geht es zuerst um die gegenseitige Durchdringung von Potenz und Aktualisierung. Abstraktion verweist in dieser Hinsicht nicht auf Absonderung, Entwendung, Loslösung, Entfernung vom „Realen“. Die Trennung der sozialen von der technischen Maschine oder des Allgemeinen vom Besonderen ist es gerade nicht, was die Abstraktheit der abstrakten Maschinen ausmacht. Statt die Abstraktion als Ablösung, als Trennung zu aktualisieren, verstehe ich abstrakte Maschinen als transversale Verkettungen, die mehrere Felder der Immanenz durchziehen, die die Verbindungen in diesen Immanenzfeldern ermöglichen und vervielfachen. Dass die abstrakten Maschinen mit Vermögen und Ermöglichung korrelieren, impliziert nicht, dass sie zuerst von „der Realität“ getrennt waren, um dann erst in der Verdichtung der Kon-kretion mit diesem Realen „zusammenzuwachsen“. Abstrakte Maschinen sind weder Universalie noch Ideal, sie sind virtuell-reale Möglichkeitsmaschinen. Sie bestehen nicht vor und jenseits, sondern diesseits der Trennung von Zeichengefügen und Körpergefügen, Ausdrucksformen und Inhaltsformen, diskursiven und nicht-diskursiven Dispositiven, dem Sagbaren und dem Sichtbaren. Sie existieren diesseits der Trennung, verschärfen jedoch nicht die Opposition von Körpern und Zeichen, sondern ermöglichen deren Zusammenfließen. Die „transzendente“ abstrakte Maschine, die isoliert auf der Ebene des Entwurfs bleibt, der es nicht gelingt, sich an konkrete Verkettungen anzuschließen, ist nur ein Sonderfall. Tödliche Maschinen wie die legislativ-exekutive Maschine in Kafkas Strafkolonie oder die Liebesmaschine in Jarrys Übermann, so komplex sie auch sein mögen, sind „tote“ Maschinen, weil ihnen die sozio-politischen Verkettungen fehlen: Die Maschine, die dem Delinquenten in der Strafkolonie das Urteil einkerbt, die das Urteil gottähnlich direkt in den Körper verkündet, stellt dadurch zwar ein unvermitteltes Verhältnis zwischen Körpern und Zeichen her, ermangelt aber nach dem Tod des früheren Kommandanten, dessen Gesetz sie gehorcht hat, der Verknüpfung mit sozialen Maschinen. Ähnlich die Liebesmaschine, die sich in den „Übermann“ verliebt, sich umkehrt und den Geliebten tötet: die Maschine, eigentlich dazu gebaut, den „Übermann“ zu gesteigerten Liebesleistungen anzutreiben, versetzt sich in eine tödliche Hochspannung und trennt jede konkrete Verkettung ab. Der „Übermann“ stirbt wie der Offizier in der Strafkolonie in der Maschine, nicht als ihr Bestandteil, eines ihrer Räder, aber immerhin als ihr Rohstoff. Und dennoch verharrt die Vereinigung von mechanisiertem Menschen und sich vermenschlichender technischer Maschine auf der Stufe eines eindimensionalen Austauschverhältnisses in „transzendenter“ Abstraktion. Für Maschinen, die sich wie die Urteil sprechend-vollstreckende in der Strafkolonie und die liebend-tötende im Übermann nicht in eine Montage fortsetzen und erweitern können, ist das konsequente Ende die Selbstdemontage, die Selbstzerstörung. Soweit der Sonderfall der „toten“, „transzendenten“, abstrakten Maschine. Wie wäre aber eine „lebendige“ abstrakte Maschine vorzustellen, was ist ihre Qualität und Intensität, worin bestehen ihre Komponenten? Macht und Abstraktion der abstrakten Maschine zeigen sich in drei Komponenten, in drei Bestimmungen, denen eine tiefe Ambivalenz eingeschrieben ist: Diffusität, Virtuosität, Monstrosität. 1. Die Diffusität der abstrakten Maschine bedeutet Zerstreuung auf die unterschiedlichsten Produktionsorte, Produktionsweisen, sozialen Lagen. 2. Die Virtuosität der abstrakten Maschine bedeutet ihre Qualität als abstraktes Wissen, kognitiv-affektive Arbeit und general intellect. 3. Die Monstrosität der abstrakten Maschine bedeutet ihre Disposition als formlose Form. Im „Zehntausendmeilenrennen“, der rasenden Wettfahrt zwischen einem Rapidexpress und einer fünf- oder sechsköpfigen zusammen gespannten Fahrradmannschaft, soll die Wette zwischen Maschine und Mensch ausgemacht werden. „Waagrecht auf dem Fünfertandem liegend – dem 1920er Standardmodell für Rennen: ohne Lenkstange, Fünfzehn-Millimeter-Reifen, siebenundfünfzig Meter achtunddreißig zurückgelegte Strecke pro Pedalumdrehung –, die Gesichter tiefer als die Sättel und durch Masken geschützt, die Wind und Staub von ihnen abhalten sollten, unsere zehn Beine rechts und links durch je eine Aluminiumstange miteinander verbunden.“ Nicht genug, dass die Zyklisten die völlige Verschmelzung mit ihrer Maschine repräsentieren, sie sind auch noch mit einer besonderen Nahrung gedopt, dem „Perpetual Motion Food“, dessen Vermarktung den eigentlichen Anlass des Zehntausendmeilenrennens darstellt. Im Kräftemessen der mechanischen Dampfmaschine und der gedopten Biomaschine zeichnet sich lange kein Vorteil ab. Über weite Strecken sind der Zug und die menschliche Superrennmaschine gleich auf, wenn auch zwischendurch einer der Radfahrer vor Erschöpfung oder auch als Effekt des Dopings das Leben lässt: „Auf einer Maschine schläft sich’s gut, auf einer Maschine lässt sich’s auch gut sterben“. Zuerst mühen sich die anderen damit ab, die Leiche mitzuschleppen („dieser Tote hockte angeschnallt, festgezurrt, verplombt, versiegelt und amtlich beurkundet auf seinem Sattel“), dann kommt es zum „Sprint des toten Jacobs“ („ein Sprint, von dem sich die Lebenden gar keinen Begriff machen können“), und das Rennfahrrad schließt wieder auf. Allerdings tauchen immer mehr Anzeichen auf, dass da noch ein dritter, inoffizieller Konkurrent mit von der Partie ist: ein „Schatten“, ein buckliger Mensch, der sich zusehends anschickt, die beiden Kontrahenten einzuholen. „Dabei hätte bei einem Tempo wie dem unseren weder etwas Lebendiges noch etwas Mechanisches uns zu folgen vermocht“. Ja, genau, die These des Buchs ist, dass es ein Und gibt, lebendig und mechanisch, das keineswegs nur im Fortschritt der Verschmelzung von Mensch und technischer Maschine zu suchen ist: Der „Übermann“ kreuzt als „Radlertölpel“ die Piste der beiden anderen Mannschaften, holpert, stolpert und strampelt in der leeren Luft herum, er fährt ein Rad ohne Kette. Nicht dass ihm die Kette gerissen war, „er fuhr eine kettenlose Maschine!“ Der Rapid-Express verheizt seine Waggons, die Rennradfahrer zerstechen ihre Reifen, um nicht abzuheben, und doch haben sie keine Chance gegen den Zickzacklinien fahrenden Radlertölpel-Übermann. Schneller als das Licht fährt er Lokomotive und Rennmaschine davon. Anstelle der deutlich negativen Konnotation der Zerstreuung als Verhinderung jeglichen sozialen Verkehrs erscheint damit in gegenwärtigen Bedingungen eine ambivalente Lage, die zugleich einen Mangel an direkter Kommunikation und die Potenzialität neuer Kommunikationsformen in der Zerstreuung aufweist. Die Existenzweisen in der Abstraktion, in der Diffusität tragen damit auch das Potenzial in sich, anstelle von identitären und kommunitären Vergemeinschaftungsformen Verkettungen von Singularitäten hervorzubringen. Während die französischen Parzellenbauern neben ihrer Zerstreuung noch unter den alten Gemeinschaftsformen von Familie und Dorf ver-dienstet waren, geht es heute um neue Formen der Verkettung, die die Diffusität der Singularitäten nützen, um von maschinischer Indienstnahme und sozialer Unterwerfung abzufallen: Verkettungen von kettenlosen Maschinen, verbunden durch das Fehlen jeglichen Bands. Ohne Frage werden vor allem Kommunikationsmittel heute zunehmend weiteren Kreisen zugänglich, selbst die diesbezüglichen extremen geopolitischen Ungleichheiten sind im Umbruch begriffen. Zugleich ist klar, dass diese veränderten Bedingungen keineswegs zwingend gleichzusetzen sind mit einer den Medien gleichsam inhärenten emanzipatorischen Nutzung des medialen Fortschritts. Maschinische Indienstnahme, über soziale Unterwerfung hinaus die Subjektivierungsweisen steuernd, ist die gouvernementale Schattenseite der Potenzialität auch von avancierten Kommunikationsmitteln. Die Ab-hängigkeit von den Maschinen verstärkt sich im durchgehenden An-hängen, an den Maschinen Hängen, an die Maschinen Angehängtsein. Die hohe Kunst maschinischer Indienstnahme verschränkt ein permanentes Online-Leben mit dem Imperativ des lebenslangen Lernens und dem unauflöslichen Ineinanderfließen von Geschäften und Affekten. Die Begehrensströme des ubiquitären An-hängens erzeugen neue Formen der Abhängigkeit, die das materielle Eindringen der technischen Maschine in den menschlichen Körper nur mehr als sekundäres Schreckensszenario erscheinen lassen. Und dennoch: Wunschmaschinen sind nicht einfach nur Werkzeuge maschinischer Indienstnahme, die kleinen Vorsprünge widerständiger Nutzung neuer abstrakt-diffuser Maschinen in der Zerstreuung sind keineswegs immer schon im Vorhinein übercodiert. Zur Erhellung dieser Behauptung können wir noch einmal auf das von Marx en passant eingeführte Konzept des general intellect zurückkommen, expliziter Ausgangspunkt auch der italienischen (Post-)OperaistInnen für ihre Überlegungen zu den Kämpfen der Massenintellektualität und zur immateriellen Arbeit. In der Grammatik der Multitude schließt Paolo Virno direkt an Marx’ Maschinenfragment und am Begriff des general intellect an. Sollte in der Epoche der Industrialisierung das gesellschaftliche Wissen je völlig in den technischen Maschinen absorbiert gewesen sein, so wird das im postfordistischen Zusammenhang undenkbar: „Man müsste demnach jene Seite des General Intellect in Betracht ziehen, die sich nicht im System der Maschinen verkörpert (oder besser: die nicht Metallgestalt annimmt), sondern diesen zur Wesenseigenschaft der lebendigen Arbeit macht.“ Virno betont, dass sich gerade innerhalb der zeitgenössischen Arbeitsprozesse Begriffskonstellationen entwickeln, die selbst als produktive Maschinen funktionieren, „ohne einen mechanischen Körper oder eine kleine elektronische Seele nötig zu haben“, und entfaltet dieses Maschinendenken jenseits der Metallgestalt vor allem in den Bereichen des abstrakten Wissens und der Sprache. In diesen Thesen Virnos erschließt sich die Linie, auf der sich marxistische und poststrukturalistische Maschinentheorie, Marx und Guattari vollends überschneiden. Gerade aufgrund der Logik der ökonomischen Entwicklung und der Entwicklung der Produktionsweisen selbst ist es notwendig, dass die Maschine nicht als bloße Struktur verstanden wird, die die ArbeiterInnen einkerbt, sie sozial unterwirft und das gesellschaftliche Wissen in sich verschließt. Über die Marx’sche Vorstellung des im capital fixe der Maschinen absorbierten Wissens hinausgehend setzt Virno daher seine These von der sozialen Qualität des Intellekts: Rohstoff und Produktionsmittel der lebendigen Arbeit ist im Postfordismus das über die Sprache zum Ausdruck gebrachte Denken, die Lern- und Kommunizierfähigkeit, die Einbildungs- und Erfindungskraft. Der general intellect stellt nicht mehr nur das im System der technischen Maschinen enthaltene und eingeschlossene Wissen dar, sondern die maß- und grenzenlose Kooperation der kognitiv-affektiven ArbeiterInnen. Die Aufnahme des Marx’schen Intellekt-Begriffs mit der Betonung auf general verweist daher an erster Stelle darauf, dass Intellekt nicht als exklusive Kompetenz eines Individuums verstanden werden soll, sondern als transversale, maschinisch-soziale Qualität, als abstraktes Wissen im Sinne des oben angedeuteten Abstraktionsbegriffs. Die in den Begriffen abstrakt und general anklingende Verallgemeinerung ist, auch wenn sie das scheinbar nahe legen, nicht im Sinne einer Totalisierung oder Universalisierung zu verstehen, sondern eher in der Tendenz einer allen offen stehenden, von allen geteilten Potenzialität. Die Virtuosität geht als werklose Tätigkeit in die Gesamtheit der gesellschaftlichen Arbeit ein, ihre Partitur ist der general intellect. Im „trans-individuellen“ Aspekt des general intellect verdeutlicht sich nicht nur die Gesamtheit aller von der menschlichen Spezies angehäuften Kenntnisse, nicht nur die Gemeinsamkeit eines als vorgängig angenommenen gemeinsamen Vermögens, sondern vor allem das Zwischen der kognitiven ArbeiterInnen, ihre kommunikative Interaktion, Abstraktion und Selbstreflexion, ihre Kooperation, das koordinierte Handeln der lebendigen Arbeit. Gegen Virno ist allerdings einzuwenden, dass es keinerlei anthropologische Konstante braucht, um singulär-abstrakte Intellektualität zu denken, nicht einmal eine „prä-individuelle“ Qualität der Sprache und des Verstandes. Gerade diese Trennung des Sag- vom Sichtbaren, des Generellen vom Individuellen, der Abstraktion von der Virtuosität ist es ja, was die abstrakten Maschinen durchkreuzen. Die Ewigkeitsmaschine heißt so, weil in ihrem Inneren die Zeit nicht vergeht. Aber nicht nur die Zeit steht still, sondern auch der Raum – die Ewigkeit hat keine Ausmaße, „denn es besteht kein Unterschied zwischen alldem, was sich darin befindet, und wir haben nicht die geringste Vorstellung vom Grad seiner unwandelbaren Gleichrangigkeit“. Dementsprechend gibt es auch Dinge in diesem maßlosen Raum, die keine bekannten Dimensionen besitzen, die sich jeder Beschreibung entziehen. Ja, ihr Aussehen ist durch das Auge nicht fassbar. Sie haben die besondere Eigenschaft, eigenschaftslos zu sein, die besondere Form der Formlosigkeit. Abstrakte Maschinen sind solche Dinge, sie haben selbst keine Form, sie sind formlos, amorph, ungeformt. Ihre Ungeformtheit soll hier jedoch nicht als Mangel verstanden werden, sondern als ambivalente Voraussetzung für die Entstehung von Furcht wie für die Erfindung von neuen, Furcht erregenden Formen der Verkettung. Am einen Pol der gegenwärtigen Existenzweisen im kognitiven Kapitalismus steht Formlosigkeit als Auslöser für das Ausufern und Ineinandergreifen von Angst und Furcht – wobei dieses verschwimmende Gefüge nicht als psychologische oder anthropologische Kategorie oder als verzweifelter Kampf um die Rückkehr zum fordistischen Lohnarbeitsverhältnis reduziert werden kann. Die Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse, die irregulären Lebensweisen und die Omnipräsenz der Prekarisierung lassen Angst als nicht mehr rein psychisches Problem in alle sozialen Lagen diffundieren. Am anderen Pol steht Formlosigkeit als die Potenzialität der Entwicklung einer Furcht erregenden Monstrosität: neue gefährliche Klassen, nonkonforme Massen, mikropolitische prekäre Monster. Abstrakte Maschinen sind hier als anti-identitäre Nicht-Form und Potenzialität der Formung zu verstehen, die in konkreten Verkettungen den Zügen des Ausdrucks wie des Inhalts eine deutliche Form gibt. Macht und Vermögen der abstrakten Maschinen liegen in der monströsen Zumutung für das gerasterte oder sich rasternde Gebilde von Staatsapparaten ebenso wie für die ausufernde Einschließung in der Gemeinschaft. Nochmals: Diffusität, Virtuosität, Monstrosität der abstrakten Maschinen verstehen sich als grundlegend ambivalent. Abstrakte Maschinen sind wie alle Maschinen produktive Komponenten des kognitiven Kapitalismus, sie sind vereinnahmbar, sobald sie gemacht oder gedacht, sobald sie erfunden sind. Ambivalenz impliziert hier allerdings auch, dass in jedem Denken, in jeder Erfahrung der Immanenz kleine Vorsprünge einer noch nicht vereinnahmten maschinischen Differenz entstehen. Diesen Vorsprüngen entspringt wohl auch jener Zauber, der beizeiten auch von Fahrrädern ausgehen soll, wie etwa am 19. Mai 2007, als sich der ladyride quer durch Wien bewegte: als queere Aneignung des massenhaften Fahrradfahrens der Critical Mass und zugleich der feministischen Genealogie des Fahrrads in der ersten Frauenbewegung. Unter dem Motto „Won’t you bike my ladyride?“ rollte eine Gruppe von ladyfest-AktivistInnen aller Gender von Station zu Station. In diesen Stationen ging es um die politische Verortung der Stadt und um ihre gestohlenen, verschwiegenen und geraubten Geschichten, von den trans-les-bi-schwulen Opfern des Nationalsozialismus über die Geschichte der Sexarbeit bis zu den migrantischen Arbeitskämpfen. Ein Schwarm von DiebInnen auf Fahrrädern, die sich die Straße und die Stadt wiederaneigneten in einer queer-feministischen Stadtführung per Rad. Entlang der Route kam es allerdings nicht nur zu sight-seeing, sondern auch zu kollektiver Verkehrsberuhigung und spontanen Straßenblockaden. „Hupt, wenn ihr uns liebt!“ hieß es da, oder: „Wer ist der Verkehr? Wir sind der Verkehr!“ Genau darin besteht die über humanistische, mechanistische und kybernetische Deutungen hinausgehende Qualität der Maschine: im Insistieren einer dissonanten Macht, eines monströsen Vermögens und Vergnügens, in der vieldeutigen Neuerfindung des Verkehrs, der nonkonformen Verkettung von Differenzen, Singularitäten, Vielheiten, in einer a-harmonischen Komposition ohne KomponistIn. [1] Vgl. zur Frage der Virtuosität nach und über Marx hinaus: Hannah Arendt, Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken 1, München, Zürich: Piper 1994, 206f.; Paolo Virno, Grammatik der Multitude, Wien: Turia+Kant 2005, vor allem 65-91; Isabell Lorey, „VirtuosInnen der Freiheit. Zur Implosion von politischer Virtuosität und produktiver Arbeit“, in: Grundrisse 23, http://www.grundrisse.net/grundrisse23/isabell_ lorey.htm. |
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