02 2007 Provokation, Poetik und PolitikFragmente einer feministisch-lesbisch-queeren Rock- und PopgeschichteIn diesem Artikel diskutiere ich einige feministische, lesbische und queere „Sprachen“ als Teil minorisierter Ausdrucksformen in der Popkultur in ihren historischen und geografischen Kontexten. Dabei konzentriere ich mich vorrangig und auszugsweise auf so genannte „Frauenbands“ aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Diese Fragmente skizzieren den Versuch, für den deutschsprachigen Raum einige Anfänge der zurzeit viel diskutierten „Queerness“ im Mainstream zu verorten. Die erste deutsche „Frauenrockband“ trägt den selbstbewussten Namen Flying Lesbians. Die fünf Musikerinnen finden sich über Nacht für das erste große Frauenfest in Berlin 1973 mit dem Motto „ROCKfest im Rock“ zusammen, nachdem eine englische „Frauenrockband“ abgesagt hatte[1]. Inspiriert von der politischen Aufbruchsstimmung der Zweiten Frauenbewegung, propagieren die Flying Lesbians die Idee eines kollektiven „Frauenbewusstseins“ und den „Kampf gegen das Patriarchat“.
Auf der Rückseite ihrer ersten Schallplatte schreiben sie: „wir, die flying lesbians, sind lesbisch und feministisch und machen rockmusik für frauen, am liebsten auf frauenfesten. [...] wir frauen fangen an, unsere eigene musik zu machen und in unseren eigenen texten das zu sagen, was uns betrifft. dies ist ein wichtiger bestandteil von ‚frauenkultur’“. Sowohl die in rot gehaltene Vorderseite der LP mit silberner Doppelaxt als auch die Texte über Gewalt gegen Frauen, Frauenfreundschaften und lesbisches Coming-Out lassen nicht daran zweifeln, dass der Kampf für die Befreiung der Frauen nur ohne Männer möglich ist. Dafür bildet die mit der Suche nach einer genuin weiblichen Sprache verbundene „Frauenkultur“ in der lesbisch-feministischen Fantasie einen utopischen Ort wie eine kritische Gegenposition zu einer hegemonialen, von Männern dominierten Kultur. Arlene Stein definiert „Frauenmusik“ als ein wichtiges Produkt des US-amerikanischen lesbischen Feminismus, der grundsätzlich nicht lesbisch ist, aber hauptsächlich von Lesben/Feministinnen geschaffen wird, lesbisch-feministische Ikonografie bedient und sich mit Themen befasst, die für diese gesellschaftliche Gruppe von Interesse sind[2]. Musikalisch beschränkt sich die „Frauenmusik“ vor allem auf Country, Folk und das Singer/Songwritertum – Genres, die teilweise bis heute als die „authentischeren“ und traditionsreicheren Ausdrucksformen für Musikerinnen rezipiert werden. Den Verweis der Flying Lesbians auf „Rockmusik von und für Frauen“ können wir daher in zweierlei Hinsicht als richtungsweisend lesen: Einerseits erweitern sie die „Frauenmusik“ um den Rock, andererseits versuchen sie vor dem Hintergrund der sich formierenden Rockkultur eine Aneignung dieser Ausdrucksform. Rock fungiert seit den 1970er Jahren als eine von männlichen Gesten und Symbolen durchsetzte Jugend- und Popkultur, die vor allem hegemonialen männlichen Identitäten als Form des „sexuellen Ausdrucks“ und der „sexuellen Kontrolle“[3] dient. Frauen werden innerhalb dieser Formation auf die Positionen der Sängerin und der Fans verwiesen; Instrumentalistinnen bleiben ebenso wie „Frauenrockbands“ die Ausnahmen. Eines dieser seltenen und vergessenen Artefakte in der Rock- und Popgeschichte ist die Band Unterrock mit ihrer Platte Mach mal deine Schnauze auf. Musikalisch von Nina Hagen und Punk beeinflusst, spielen die sechs Musikerinnen ihre Instrumente bereits deutlich schneller als die Flying Lesbians. Mit ihrem Lied Heterowelt – leck mich am Arsch, das in der österreichischen und deutschen Frauenbewegung zu einer feministisch-lesbischen Hymne wird, thematisiert die Band das Verhältnis von Hetero- und Homosexualität.
Der Kampf um Sichtbarkeit für lesbische Frauen und die Konfliktlinien zwischen heterosexuellen, lesbischen und bisexuellen Feministinnen in der deutschsprachigen Frauenbewegung finden in Heterowelt – Leck mich am Arsch eine humoristische Aufarbeitung. Zur gleichen Zeit des Erscheinens der Platte von Unterrock gerät – trotz der neuen Netzwerke und Auftrittsmöglichkeiten für Musikerinnen – die Vorstellung von „Frauenmusik“ ins Wanken. Die Begrenzung des Begriffs und die ausschließenden Praxen werden durch die Kritik von Schwarzen Feministinnen und von Frauen aus der Punk-Bewegung an die Oberfläche gekehrt. An Olivia Records[4], dem US-amerikanischen Plattenlabel von und für Frauen, manifestieren sich exemplarisch die Ein- und Ausschlussmechanismen. Die hehren Ansprüche der Protagonistinnen der „Frauenmusik“, den Anteil von Frauen/Lesben in Machtpositionen in der Musikindustrie zu erhöhen, eine kritische Öffentlichkeit für und neue Sichtbarkeit von feministischen und lesbischen Musikerinnen aufzubauen sowie die Trennung zwischen Künstlerinnen und Publikum aufzuheben, werden nur für einige wenige zur Realität. Die Mehrheit der Women of Colour, der AfroamerikanerInnen und der Migrantinnen werden hingegen zu Zeuginnen der spezifischen historischen Beziehung von weißen Feministinnen zum Rassismus. Für Adrienne Rich drückt sich diese Beziehung nicht unmittelbar in der Ignoranz von uns weißen Feministinnen gegenüber Rassismen aus, sondern über einen „weißen Solipsismus“: die Tendenz „zu denken, zu sprechen und sich vorzustellen, dass weiß-Sein (whiteness) die Welt beschreibt“[5]. Dieser „weiße Solipsismus“ zeigt sich in der „Frauenkultur“ und spezifischer in der „Frauenmusik“ u.a. bei „Olivia“ an dem Versuch, afroamerikanische Musikerinnen unter dem Begriff der „Frauenmusik“ zu vermarkten. Ein Versuch, der fehlschlägt, denn die „Frauenmusik“ konzentriert sich vorrangig auf die europäische bzw. weiße Musiktradition. Dadurch wird „Frauenmusik“ zu einem Begriff für weiße Frauen, der afroamerikanische Musikerinnen und ihre musikalischen Traditionen ausschließt, sie in die Position der „Anderen“ drängt und zum Gegenpol weißer Musikerinnen werden lässt. Eine Folge dieser Vermarktungsstrategie ist, dass afroamerikanische Musikerinnen bei einem weißen feministischen Publikum nicht die gewünschten und für „Olivia“ dringend benötigten Einnahmen erzielen. Wenig später nach Gründung von Olivia Records 1973 werden in den USA weitere kleine unabhängige Plattenlabels von Frauen ins Leben gerufen wie Wise Woman Records, Pleiades Records, Righteous Babe Records oder Redwood Records. Letzteres beginnt nicht zuletzt durch die Kritik von afroamerikanischen Feministinnen mit Sweet Honey in the Rock 1978 auch Musik von Women of Colour zu veröffentlichen. Mit diesem Versuch der Öffnung erfährt die „Frauenmusik“ eine Pluralisierung hinsichtlich der bislang eingeschränkten musikalischen Genres als auch in Bezug auf die Herkunft und den kulturellen Hintergrund der Musikerinnen. Für die Frauen aus der Punk-Bewegung, ein von weißen MusikerInnen und KonsumentInnen dominiertes popkulturelles Phänomen, gestaltet sich die Kritik anders: Die „Frauenmusik“ orientiert sich für die Punk-Frauen zu sehr an traditionell weiblichen Repräsentationen. Mit diesen Kritiken wird die Vorstellung von „Frauenmusik“ als eine gemeinsame kulturelle Basis für feministisch-lesbisches Handeln und für kollektive Interventionen in die männlich dominierte Musikindustrie infrage gestellt. „Frauenmusik“ und die Suche nach einer „essentiellen“ Weiblichkeit werden zu einem Ausdruck von Frauen/Lesben einer bestimmten Generation. Punk, der sich in Wien im Kontext der besetzten Häuser Ende der 1970er Jahre formiert, greift die Rebellion des Rock auf – allerdings nicht, um sie wieder zu beleben, sondern um sie zu brechen, zu ironisieren und umzudeuten. Die Absage an die Gleichung, Rock ist die Rebellion junger, weißer Männer gegen gesellschaftliche Konventionen, das DIY-Konzept sowie die Haltung, dass Punk ohnehin gegen alles verstößt, schaffen zum ersten Mal in der (Musik-)Geschichte auch für Frauen als Musikerinnen ideologische und reale Räume, aktiv die neue Bewegung mitzugestalten. Zur gleichen Zeit werden die Forderungen nach Gleichberechtigung und Selbstbestimmung für Frauen/Lesben durch die Frauenbewegung lauter. In dieser auch in Österreich und vor allem in Wien spürbaren Aufbruchstimmung lernen sich die vier Musikerinnen der ersten österreichischen Frauenpunkband A-Gen 53 auf einem Nina-Hagen-Konzert und über die Anzeige „Frauenpunkband sucht Musikerinnen“ in der Wochenzeitung Falter kennen. Für die damals 15- bis 21-jährigen Frauen ist nicht die Frauenbewegung das Verbindende. Musik, Kleidung, interne Codes, die politische Haltung sowie die Abgrenzung der Punks zu anderen jungendlichen Subkulturen wie den Hippies oder den Mods sind für A-Gen 53 die sinnstiftenden Elemente. In ihrer Adaption des Sex Pistols Songs Belson was a Gas zeichnen sie die Rivalitäten und Feindschaften nach.
A-Gen 53 versteht sich als Teil der Wiener Punk-Bewegung. Ihr Verhältnis zur Frauenbewegung ist distanzierter, das Ilse Hoffmann, die Bassistin von A-Gen 53, im Rückblick mit lachendem Unterton so beschreibt: „Wir, also wir Punks, hatten eine starke Abneigung gegen das Herumsitzen und Reden. Das war eigentlich der Hauptgrund, warum wir uns nie darum gekümmert haben, Kontakte zur Frauenbewegung zu kriegen. Aber wenn sich eine Gelegenheit ergeben hat zu spielen, also praktisch bei der Frauenbewegung mitzumachen, dann haben wir das gemacht. Mit Diskussionsforen und Workshops hast du uns allerdings jagen können.“[6] Obwohl sich ihr Engagement für und innerhalb der Frauenbewegung auf Konzerte beschränkt, nimmt der Feminismus Einfluss auf die Band. Sie benennen sich nach einem Verhütungsmittel für Frauen (A-Gen 53) und spielen bei den Konzerten immer wieder ihre Hymne „Neuer Klang Emanzenpunk A-Gen 53“. „Damit wollten wir provozieren. Das ist gut angekommen und das Publikum war auch begeistert, obwohl es für manche Männer lustig war, weil jetzt die ‚Schnitten’ kommen.“ Die Punk-Ideologie, gegen alles zu sein, macht es den Frauen zwar leichter mitzumachen und ein Instrument in die Hand zu nehmen, langfristig bleibt der Einfluss von Punk auf das „Arrangement der Geschlechter“ (Dorothy Dinnerstein) in der Popkultur minimal. Welch marginalen Stellenwert Instrumentalistinnen haben und auf welche Barrieren, Vorurteile und Stereotypisierungen sie stoßen, zeigt Mavis Bayton ausführlich in ihrer Studie über die Rock-, Pop- und Indie-Szenen in Großbritannien. Sie kommt zu dem Schluss, dass der Prozentsatz von Instrumentalistinnen in Bands sowie als Solomusikerinnen von den 1970er bis Mitte der 1990er Jahre nur äußert langsam steigt, obwohl die Anzahl der weiblichen Role-Models kontinuierlich zunimmt, Instrumentalistinnen im Rock und Pop sichtbarer und Mädchen/junge Frauen selbstbewusster im Umgang mit dem Computer und technischen Geräten werden.[7] Ende der 1980er Jahre, als der Revolutionshabitus des Punk bereits zur Vergangenheit gehört, beginnen die verfestigten Strukturen der internationalen Musikindustrie zu erodieren. Afro-amerikanische MusikerInnen, DJs und MusikproduzentInnen untergraben mit HipHop, House und Techno verstärkt die Dominanz des weißen Establishments, indem sie sowohl die „Otherness“ der Schwarzen popularen Kultur reflektieren als auch die Grenzen des Legitimen der weißen Kultur in Frage stellen. Hinzu kommt die verstärkte Rezeption feministischer Kritiken an maskulinen Repräsentationen im Rock- und Pop. In dieser Zeit beginnt der Popjournalismus von einem „neuen Frauentyp“ zu sprechen. Musikerinnen in androgynem Outfit wie k.d. lang, Tracy Chapman, Melissa Etheridge und etwas später Marla Glen erobern die Charts wie die Herzen der Frauen/Lesben im Flug. Diese Generation von Musikerinnen scheut den Weg durch die kommerzielle Musikindustrie nicht. Der Gedanke an Vertriebsstrukturen für „women only“ ist für sie kein gangbarer Weg, obwohl sie in lesbischen Subkulturen verwurzelt sind und einige sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekennen. Das Spiel der androgynen Selbstinszenierung, das David Bowie & Co mit dem Glam Rock für die männlichen Rockstars in den 1970ern entdeckt, bekommt in den 1980ern eine neue Bedeutung. Verstärkt durch das Coming-Out von k.d. lang und Melissa Etheridge wird die bis dahin im lesbischen Feminismus verortete Identität der Butch-Lesbe in den Mainstream übergeführt. Die lesbisch-schwulen Communities zelebrieren die Musikerinnen und die Majors, die sie unter Vertrag haben, zählen eifrig die Gewinne aus den millionenfachen Tonträgerverkäufen. Ihre Mainstream-Präsenz steht im Kontext mit den verstärkt in den öffentlichen Diskurs eingebetteten Diskussionen um die Forderungen nach Gleichberechtigung von homosexuellen Paaren einerseits und der Debatte um AIDS als vermeintliche „Schwulenkrankheit“ andererseits. Abseits des Mainstreams gründen 1987 die selbsternannten Königinnen aus der Schweiz die Band Les Reines Prochaines[8]. Situiert zwischen Musik, Kunst und Performance setzen die Musikerinnen auf einen humoristischen Mix aus Poetik, Politik und Provokation. Musikalisch integrieren Les Reines Prochaines neben dem Synthesizer und dem Sequenzer ein breites Repertoire an Instrumenten von Schlagzeug über Gitarre bis zur Querflöte in ihre radikal sparsamen Arrangements. Les Reines Prochaines dekonstruieren das Rock-Ideal, in einer Band könne jede Musikerin/jeder Musiker nur einen bestimmten Platz einnehmen und nur ein Instrument mehr oder weniger virtuos spielen. Daher tritt bei den „Königinnen“ an die Stelle des „Gitarrengottes“ das Prinzip der Rotation: Die Musikerinnen reichen die Instrumente weiter, sie singen, tanzen, musizieren, performen und rezitieren. Für ihre Texte dienen ihnen Pop, Politik und Feminismus ebenso als Inspirationsquellen wie innere Bilder, Erinnerungen und Wünsche – zum Beispiel jener, eine Butch zu sein.
Ihr „professioneller Dilettantismus“[9], den sie zum künstlerischen Konzept erheben, speist sich aus verschiedenen Strategien, die sowohl die gängigen Vorstellungen über eine „Frauenband“ als auch jene von Identität, Sexualität und Schönheit aushebeln. Dabei gehen sie im Unterschied zu Musikerinnen wie k.d. lang, Melissa Etheridge oder Marla Glen einen Schritt weiter: Mit Liedern wie „I wanna be a butch (...) doch ich glaub, ich bin eine femme” zeigen sie, wie Geschlecht durch Parodie, Täuschung und sarkastische Gesten zu einem performativen Akt wird. Für ihre prozesshafte, assoziative und konzeptuelle Arbeitsweise ist die Musik mediale Basis, um die alles kreist. Eine ähnlich gelagerte Herangehensweise verfolgt die in Wien beheimatete Band SV Damenkraft. Die vier Musikerinnen/Künstlerinnen entschließen sich 2003, eine Band zu gründen[10], bei der nicht das Spielen von Instrumenten, sondern die Bühnenshow mit extravaganten Outfits und performativen Elementen im Vordergrund stehen. Auch hier ist die Suche nach den klassischen Rock-Gesten und Symbolen vergeblich, wenn sich die Musikerinnen mit programmierten Laptop-Beats, Gesang und einstudierten Posen dem Publikum präsentieren. In ihren Lyrics werden die Verortung in der lesbisch-queeren Theorie und Politik und ihr Naheverhältnis zu Foucaults Analyse von Macht deutlich.
SV Damenkraft lehnt den Status von Frauen/Lesben als vom Patriarchat Unterdrückte ab und schlägt stattdessen ein Konzept vor, das sich um die Triade aus Sexualität, Macht und Begehren bewegt. Dabei entsteht eine Lesart von „queer“, die Grudrun Perko als „(feministisch)-lesbisch-schwul-queer“ beschreibt. Queer fungiert in diesem Zusammenhang „eher als Synonym für lesbisch/schwul und weniger als Reaktion auf ausschließende Identitätspolitiken politischer Bewegungen wie in den USA“[11]. Neben dieser Verortung können wir SV Damenkraft auch im künstlerischen Feld und im Bereich queerer Räume kontextualisieren. Mit ihren Auftritten in Galerien und Museen konfrontieren sie das herkömmliche Kunstpublikum mit Fragen nach Sex, Gender und Begehren; in queeren Räumen wie den Ladyfesten bietet SV Damenkraft durch das Spiel mit verschiedenen Charakteren, die zwischen Camp, Butch, Femme Fatale und Drag oszillieren, für Frauen/Lesben/Queers eine Identifikationsfläche jenseits eindeutiger Identitäten. Neben diesen Beispielen lassen sich ohne Zweifel nicht nur für Österreich, Deutschland und die Schweiz vor allem seit den 1980ern eine Vielzahl von feministischen, lesbischen und queeren Bands sowie Netzwerke finden. Ausgangspunkt für die „Frauenmusik“ in den 70er und 80er Jahren ist ein politisches Bewusstsein, das die Subjektposition „Frau“ als eine universalistische Kategorie setzt, sich am lesbischen Feminismus orientiert und in Ansätzen versucht, als Musikerinnen und Konsumentinnen Rock auch als eine Musik für Frauen/Lesben zu erobern. Diese Zeit ist der Beginn von „Frauenmusikfestivals“, von feministischen Netzwerken und für den Aufbau von Plattenlabels und Vertriebsstrukturen für Musikerinnen, die sich teilweise mit der Projekt-Bewegung in den 1980er Jahren und teilweise mit der Riot-Grrrl-Bewegung in den 90ern verstärkt formieren. Einige Musikerinnen, denen „Frauenmusik“ und Feminismus zu sehr mit der Idee des „Frau-Sein“ verhaftet ist, entdecken Ende der 70er Jahre Punk als eine neue Subkultur für sich, um gegen alles und somit auch gegen die Hetero-Romanzen-Kultur im Rock und Pop zu rebellieren. Lesbische Musikerinnen in androgynen Outfits erobern in den 1980er Jahren den Mainstream, und Lesben werden erstmals als Musikerinnen und Konsumentinnen von Popkultur wahrgenommen. Diese Vorgänge gehen einher mit den immer lauter werdenden Forderungen nach Gleichberechtigung für Homosexuelle, allerdings bleiben sowohl die Musikerinnen als auch die politischen Forderungen dem Dualismus von Hetero- versus Homosexualität verhaftet. Erst als sich, ausgehend von den USA, Ende der 1980er Jahre, eine queere Politik und die queer Studies an den Universitäten etablieren, werden die bis dahin erprobten Identitätspolitiken einer kritischen Befragung unterzogen. Für die Popkultur in Österreich, Deutschland und der Schweiz wird dieser Wandel durch Bands wie Les Reines Prochaines, SV Damenkraft und Drag King Formationen wie den Kingz of Berlin oder den Sissy Boys sichtbar. Diese Bands und Gruppen wandern zwischen Musik, Kunst und Performance hin und her, sie verabschieden sich vom Authentizitätsgedanken des Rock und stellen das Spiel mit Identitäten und bunten Oberflächen in den Vordergrund. Durch diese Strategien versuchen sie, eindeutige Identitäten und Identitätspolitiken, wie wir sie aus der „Frauenmusik“ kennen, zu verschieben. Aus den hier exemplarisch porträtierten Bands und Musikerinnen werden die unterschiedlichen Zugänge zur Musik ebenso deutlich wie ihr jeweils differierender Zugang zum Feminismus und ihre Verortung innerhalb feministischer Bewegungen. Ohne die Bands und Musikerinnen auf ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der Frauen reduzieren zu wollen, lässt sich jedoch eine Gemeinsamkeit feststellen: Sie fordern mit ihren Lyrics, Strategien und Konzepten, die sich im Wechselspiel von Musik, Performance, Politik und Feminismus entwickel(te)n, hegemoniale Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität, Begehren und Identität heraus. [1] Vgl. Sterneck, Wolfgang, FLYING LESBIANS – Die Frauenrockband über sich, in: http://www.sterneck.net/cybertribe/musik/flying-lesbians/index.php (11. 2006) und Schwarzer, Alice, So fing es an! Die neue Frauenbewegung, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1983. [2] Stein, Arlene, Crossover-Träume: Lesben und Popmusik seit den siebziger Jahren, in: Hamer, Diane/Budge, Belinda (Hg.): Von Madonna bis Martina. Die Romanze der Massenkultur mit den Lesben. Berlin: Orlanda-Frauenverlag 1996, S 22-35. [3] vgl. Frith, Simon/McRobbie, Angel, Rock and Sexuality, in: Frith, Simon / Goodwin, Andrew (Hg.), On Record: Rock, Pop & the Written Word, London: Routledge 1990/2000, S. 371–389. [4] Zur Geschichte von Olivia Records vgl. Stein, Arlene: a.a.O. [5] Rich, Adrienne, Disloyal to Civilization: Feminism, Racism, Gynophobia, in: Dies.: On Lies, Secrets and Silence. Selected Prose 1966–1978, New York/London: Reissue 1978/1979. S. 275 –310. [6] unveröffentlichtes Interview mit Ilse Hoffmann, geführt von Rosa Reitsamer im Oktober 2006 in Wien. [7] Vgl. Bayton, Mavis, Frock Rock. Women Performing Popular Music, Oxford/New York: Oxford University Press 1998. [8] Les Reines Prochaines sind Barbara Naegelin, Michèle Fuchs, Fränzi Madörin, Sus Zwick und Musa Mathis. [9] Vgl. www.reinesprochaines.ch. [10] Nach einigen personellen Umstrukturierungen entsteht 2003 die Band mit dem Namen SV Damenkraft. Sie besteht aus Christina Nemec, Gini Müller, Katrina Daschner und Sabine Marte. [11] Perko unterscheidet für den gegenwärtigen Gebrauch von Queer im deutschsprachigen Raum neben der „(feministisch)-lesbisch-schwul-queeren Variante“ die „lesbisch-schwul-bi-transgender-queere Variante“ und die „plural-queere Variante“. Vgl.: Perko, Gudrun, Queer-Theorien. Ethische, politische und logische Dimensionen plural-queeren Denkens, Köln: PapyRossa Verlag 2005, S. 17 f. |
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