06 2006 Die eigenwillige Freiwilligkeit der Prekarisierung"Ich habe
eine Woche lang überlegt und mich entschieden für die grüne Karte. Wenn man
also die Bedingungen sieht, was Deutschland anbietet und was die andern Länder
anbieten: zur Zeit für mich als Europäer und als Mensch ist es besser, wenn ich
hier in Deutschland bleibe als zum Beispiel in den USA. Obwohl die Bedingungen,
die Leistungen, die die grüne Karte bietet, schlechter sind als in anderen
Ländern. Beim Firmenwechsel musst du immer neu beantragen und das bringt Angst
für die Arbeitnehmer nach meiner Meinung. Zurück zum
Eingangszitat: Folgten wir hier der Argumentation der „freiwilligen
Prekarisierung“, so müßten wir sagen, dass diese Person die Restriktionen der
gesetzlichen Regelungen, die ihren Aufenthalt in Deutschland prekarisieren,
dethematisiert, indem sie diese zunächst aufzählt, dann aber mit der Wendung,
sich als ihnen gegenüber unabhängiges, souveränes Subjekt vorzustellen,
überspringt. Sie teilt die (neoliberalen) Anforderungen wie bedingungslose
Mobilität oder die Anpassung an einen als „unberechenbar“ geschilderten Markt,
aber auch Kategorien wie „Europäer‚ und ‚Mensch“, ohne soziale Bezüge,
Abhängigkeiten oder Verbindlichkeiten. Hegemonial besetzte Universalismen
erscheinen so als nicht mehr befragte Voraussetzung, an die sich dieses Subjekt
anzupassen versucht, statt dagegen zu widerstehen. Und dieses – so könnte man
sagen – beharrliche Suchen nach einer persönlichen Autonomie, macht diesen
Greencardinhaber zum besonders „guten“ und produktiven Beschäftigten. Sich mit seinen Fähigkeiten und Eigenschaften im Hinblick auf eine Disponibilität für die Arbeit immer wieder neu zu entwerfen, geschieht offensichtlich mit der Drohung, das Subjekt in der fixen Kategorie „als“ einzuschließen, die seine Möglichkeiten, seine sozialen und territorialen Mobilitäten beschränkt, es dadurch der möglichen Abwertung Preis gibt oder in ein Ausschlussverfahren verwickelt. Wenn etwa das Greencardvisum ausläuft und unserem Interviewpartner seine Identität „als Europäer“ abgesprochen und er „zum Bulgaren“ gemacht wird. Das zwingt ihn wiederum, sich neu zu entwerfen, etwa „als kosmopolitischer Computerspezialist“, dessen Arbeitskraft qua Universalmaschine Computer überall einsetzbar ist usw. Ich möchte diese Dynamik als eine Kondition der Prekarisierung bezeichnen: Ein Subjekt erscheint zwar frei, verschiedene Subjektpositionen („als hochbewertete Arbeitskraft in einer Zukunftstechnologie“, „als Migrant unter deutscher Gesetzgebung“) gleichzeitig oder nacheinander einzunehmen und dazwischen hin‑ und herzuwandeln und diese (möglicherweise widersprüchlichen) Positionen erfolgreich zu verhandeln. Es erscheint in dieser Freiheit aber gleichzeitig dazu gezwungen, die Positionen zu verhandeln und seine Subjektivität als Disponibilität für die Arbeit in einer situierten und verkörperten Kohärenz zu entwerfen, darzustellen, ja zu antizipieren, um so die Drohung einer Festsetzung und eines Stillstandes abzuwenden. „Prekarisierung“ tritt also immer schon als ein gesellschaftliches Verhältnis, als ein Set von Bedingung und Strukturen auf, nach denen sich die Subjekte erst „frei“ verhalten können und gleichzeitig müssen. Die Konfrontation dieser Freiheiten, das Spannungsverhältnis zwischen einer Freiheit, die den Ruf des Subjektes nach Mobilität beantwortet, und der Freiheit, der das in der Prekarisierung „freigesetzte“ Subjekt ausgeliefert ist, markiert den flüchtigen Ort prekärer Lebens‑ und Arbeitsverhältnisse. Um zu erläutern, was ich mit der verkörperten Kohärenz meine, möchte ich ein Beispiel aus meinem eigenen Arbeitszusammenhang anführen. Bei den Präsentationen eines gemeinsamen Videos beobachtete ich, wie mein Co-Autor Mabouna, der in diesem Film sozusagen als Objekt des Filmes auftritt, immer entweder „als Flüchtling“ oder „als Filmemacher“ adressiert wurde, obwohl es kein biografischer Film ist, sondern ein Film über die Subjektivierung als Flüchtling. Das eine schien das andere auszuschließen. Meine Präsenz als im Film nicht näher beschriebene Co-Autorin erschien dabei in Abhängigkeit der Zuschreibungen des jeweiligen Publikums ebenso beweglich zwischen der Position der „Assistentin“ oder der „eigentlichen Filmemacherin“ zu wechseln; auch meine Intelligibilität als KulturproduzentIn war dadurch gekennzeichnet, dass sie Kooperationen innerhalb der Aktualität allzu grosser sozialer Ungleichheiten tendenziell ausschließt. Eine Anerkennung auf der Höhe der Aktualität aller durchqueerten Subjektpositionen, die diese Arbeit verhandelt, war für unser Publikum selten auszusprechen. Und auch‚ für uns selbst stellte sich ein solch „mobiles Sprechen“ als schwierig dar. Dem Ansehen als Flüchtling stand ein souveräner Auftritt als KulturproduzentIn als Widerspruch gegenüber. Mensch muss offenbar den Flüchtling abschütteln, die Subjektivierung als Flüchtling durchlaufen und überwunden haben, um bei der KulturproduzentIn anzukommen. Das Erlangen einer solchen Kohärenz „als“ findet nicht einfach „aus sich selbst heraus“ statt, sondern immer auch in Abhängigkeit davon, wie die dargestellten Fähigkeiten und Eigenschaften von anderen Subjekten und Institutionen beantwortet und anerkannt werden können; Subjektivität ist auch nicht einfach „in die Arbeit“ gerufen, sondern wird in den Arbeitsprozessen selbst „produziert“ und konstituiert, etwa im Sinne einer performativen Wiederholung und Re/Produktion von Geschlecht, Sexualität, Ethnizität etc. und deren differenzierten Anordnungen auf unterschiedliche gesellschaftliche oder Arbeits-Plätze. Wenn wir also von Selbstverhältnissen sprechen, die in einem quasi voreiligen Gehorsam – oder „freiwillig“ – neoliberale Anforderungen scheinbar übererfüllen oder gar antizipieren, dann müssen wir immer auch fragen – das möchte ich herausstellen –, welche repressiven und fixierenden Apparate die Subjekte dabei zu umgehen versuchen. Diese beiden Geschichten zu beschreiben, ohne die Perspektive eines (hetero)normativen, auf korporatistischen und nationalstaatlichen Kompromissen beruhenden Arbeitsbegriffs als Anerkennungs‑ und Exklusionsinstanz in der eigenen Begrifflichkeit wieder zu installieren, bedeutete, die hier aufscheinenden Prekarisierungen nicht bloß als Exklusionen oder als einen Mangel zu fassen. Sie sollten vielmehr gleichzeitig sowohl als Entrechtung wie auch als eine Art Überschuss gesehen werden, – als ein Überschuss, der jene Recht und Anerkennung sprechenden Instanzen herausfordert, vor deren normativer Strukturierung diese Personen fliehen (hier etwa vor dem Status der Reservearmee, des Schutzbefohlenen oder vor der Verfangenheit in einer bürgerlichen Kultur). Diese Gleichzeitigkeit nicht abzuschneiden, sondern nach ihrer Artikulierbarkeit zu fragen, hieße, nach einer subjektiven Dynamik zu suchen, die auf gewisse Weise in die Prekarisierung eingeschrieben ist. Diese Dynamik schießt zwischen Affirmation und Unterwerfung hindurch, auch wenn solche Überschüsse selbst immer in spezifische Konstellationen von Macht‑ und Herrschaftsverhältnissen eingelassen bleiben. – Oder, wie es Efthimia Panagiotidis als Aufforderung formuliert: „Sie [die Prekarisierung] beharrt in der zärtlichen Leidenschaft nach der Erfindung einer gemeinsamen Sprache [...].“[3] Wie aber lässt sich
diese in die Prekarisierung eingeschriebene Dynamik lokalisieren und jenseits
dessen, was dabei singulär gelebt wird, als gesellschaftlicher Konflikt
artikulieren? Dieser Text geht auf Diskussionen der letzten Jahre zurück, insbesondere mit Isabell Lorey (vgl auch Isabell Loreys Text "Gouvernementalität und Selbst-Prekarisierung. Zur Normalisierung von KulturproduzentInnen", der in Kürze in "transversal" publiziert wird) und den Gruppen kpD (kleines postfordistisches Drama), k_b_l, www.queeringwork.de und preclab, www.preclab.net. [1] Zur Eröffnung der Computer-Messe CeBIT im Februar 2000 propagierte der damalige Bundeskanzler Schröder die so genannte Greencard, eine auf fünf Jahre befristete Arbeitserlaubnis für IT SpezialistInnen. Mit der Einführung dieses Arbeitsvisums war seit dem Beginn des Anwerbestops von ArbeitsmigrantInnen 1973 die erste medial und parlamentarisch breit geführte Debatte um Deutschland als Einwanderungsland verbunden, in der Immigration nicht nur als Bedrohung der inneren Sicherheit und als soziale und finanzielle Belastung diskutiert wurde. [2] Vgl. boudry/kuster/lorenz, „grüne karte, rote karte. subjektivität & die liebe zur arbeit“, in diskus Nr. 1.02, Mai 2002. [3] Efthimia Panagiotidis, „DenkerInnenzelle X. Prekarisierung, Mobilität, Exodus“, in: arranca. Zeitschrift für eine linke Strömung. Nr. 32 (Sommer 2005). [4] Vgl. u.a. Yann Moulier Boutang, „Lois sur les pauvres d’hier, vieilles questions et nouvelles perspectives pour aujourd’hui“, in: Multitude, décembre 1997. Vgl. http://multitudes.samizdat.net [6] „Wenn sie nicht auf Ängste oder Ressentiments verkürzt wird, dann ist die Prekarität die einzige Noblesse in diesen Zeiten der Diktatur der Risiken. Sie ist ein tatsächlicher Einschluss der Endlichkeit, und sie ist Bedingung für die Öffnung gegenüber einer Kraft, die nicht die Macht ist.“ |
Brigitta KusterlanguagesDeutschtransversalprecariat |