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Politische und soziale Konflikte sind in der jüngeren Vergangenheit zunehmend als kulturelle Konflikte interpretiert worden. „Kultur“ wurde so zu einer zentralen operativen Kategorie gegenwärtiger politischer Diskurse und Entscheidungsfindungen. Kulturtheorien setzen sich diesem Prozess zumeist nur dadurch entgegen, dass sie einen anderen – wenn auch „dynamisierten“ oder „translationalen“ – Kulturbegriff veranschlagen, und tragen auf diese Weise, ohne die diskursiven Regelmäßigkeiten und unmittelbaren politischen Implikationen der „Kultur“-Idee als solcher zu untersuchen, ihrerseits zur voranschreitenden Kulturalisierung des Politischen und Sozialen bei. Dagegen kann eine gründliche Untersuchung der politischen Funktionalitäten und gesellschaftlichen „Materialisierungen“ des kulturellen Dispositivs in historischer wie gegenwärtiger Perspektive als Aufgabe einer Kritik der Kulturalisierung beschrieben werden.

Gegenwärtige Gesellschaften unterliegen tiefgreifenden Veränderungen sowohl auf der Ebene migrationsbedingter Entwicklungen als auch auf der Ebene allgemeiner Lebensbedingungen (Arbeit, Produktionsweisen, Formen gesellschaftlichen Austauschs, Öffentlichkeiten etc.). Weder alte Modelle zur Beschreibung sozialer Schichtung noch identitäre – oder selbst post-identitäre – Ideen „kultureller“ Differenzen oder Diversitäten ermöglichen ein hinreichendes Verständnis dieser Prozesse. Es erscheint daher notwendig, neue Analysen der Komplexitäten gesellschaftlicher Zusammensetzung zu entwickeln, die so unterschiedlichen – und doch miteinander verflochtenen – Aspekten wie (internationaler) Arbeitsteilung, ethnisierter Arbeit, genderspezifischen Formen der Diskriminierung und Ausbeutung, physischer und sozialer Mobilität, neuen gesellschaftlichen Interaktions- und Organisationsformen sowie der konkreten Auswirkung rechtlicher Herrschaftsgefüge und Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Vor diesem Hintergrund zielt der Begriff „gesellschaftliche Neuzusammensetzung“ insbesondere auf die Beleuchtung neuer sozialer und politischer Handlungsvermögen, neuer möglicher Subjektivitäten und Artikulationen, die aus der Erfahrung dieser Veränderungen hervorgehen.

Gibt es ein globales Gemeinsames in der postkolonialen Welt? Leider scheint die Antwort auf diese Frage allzu einfach: Das globale Gemeinsame ist weder im alten modernen Konzept der Universalität zu finden, zumal dieses sich als kulturspezifisch herausgestellt hat, noch in der normativen Gleichheit besonderer „Kulturen“, die einander wechselweise anerkennen. Stattdessen liegt sie im endlosen Prozess aufeinander einwirkender und sich vermischender kultureller Differenzen, einem Prozess, der „kulturelle Übersetzung“ genannt wird. Dieser Prozess hat sein eigenes Subjekt: einen neuen Homo duplex unserer Zeit, der dieses neue Gemeinsame einer transnationalen, globalen Kultur produziert, genießt und theoretisiert. Zugleich jedoch folgt seine politische Artikulation demselben alten Muster kultureller Partikularität, kurz: dem Nationalstaat. Also gründet der Homo duplex seine Politik auf das, was er kulturell verdammt. Und umgekehrt ist das, was er kulturell verehrt, von keinerlei politischem Nutzen. Sich diesem Widerspruch offen zu stellen ist wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe unserer Zeit.

Mehr denn je ist die Welt zu einem Babel geworden. Dank der modernen Kommunikationsmittel ist Multilingualität heute eine weit verbreitete Tatsache des Alltagslebens. In dieser Welt zu sprechen und zu verstehen heißt nichts anderes, als ständig zu übersetzen, sprachlich ebenso sehr wie kulturell. Und doch sind unsere intellektuelle Initiation, die institutionellen Formen unserer Bildung und kulturellen Produktion nach wie vor auf eine monolinguale Ideologie gegründet, die an der alten romantischen Idee festhält, dass jede Sprache einen eigenen einzigartigen Geist besitzt. Es ist Zeit für einen Wandel, der nur von Grund auf begonnen werden kann, der also seinen Ausgang von „wilden“ Praxen der Multilingualität nimmt, und zwar auf der Ebene der transnationalen intellektuellen und kulturellen Produktion ebenso wie auf der Ebene aller migrantischen ArbeiterInnen, Sans-Papiers und Flüchtlingen.

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